Tagungsbericht zu
„Königskind, komm aus der Asche!
Das Evangelium in und mit Märchen entdecken" mit Dr.
Heinrich Dickerhoff
Am 20. und 21. Oktober war Dr. Heinrich Dickerhoff , vom
Kardinal-von-Galen-Haus in Cloppenburg/Stapelfeld, in der Pfarrei
Mater Dolorosa in Berlin zu Gast und hielt in Zusammenarbeit mit
dem Katholischen Bildungswerk Berlin ein zweitägiges
biblisches Seminar ab.
Die große Vorfreude
wurde eindrucksvoll bestätigt.
Bei strahlendem Sonnenschein versammelte sich im Gemeindehaus die
stattliche Teilnehmerrunde von 80 Zuhörern um Heinrich
Dickerhoff.
Erwartungsfroh fanden sich auch zahlreiche Gäste aus
anderen Pfarreien sowie mehrere Religionspädagogen ein, um
sich begeistern zu lassen und in eine Welt der leisen Töne
einzutauchen, gespannt zu lauschen, Glaubensaspekte
herauszukristallisieren und über die einzelnen Gedanken zu
sprechen.
Heinrich Dickerhoff wählte für diese Tagung
ein Thema aus, für das er als Theologe und zugleich
Vize-Präsident der Europäischen
Märchengesellschaft besonders prädestiniert ist:
„Das Evangelium in und mit Märchen
entdecken".
Anhand einer kleinen, beispielhaften Märchenkunde legte er
dar, was und wie Märchen vom Wesen und Weg der Menschen
erzählen.
Der Erzählung der Märchen stellte Dickerhoff
einige Thesen zur Deutung und Bedeutung von Märchen voran,
bevor er mit den Zuhörern die christlichen und
märchenhaften Elemente im lockeren Gespräch
erörterte.
Mit sanften Harfenklängen leitete er jeweils die
Märchen ein und sensibilisierte so sein Publikum, machte
es aufnahmebereit für märchenhafte
Botschaften.
Die persönlichen
Anmerkungen aus seinem Leben, die Dickerhoff in seine
Vorträge einfließen läßt,
sorgen für eine menschliche Atmosphäre, in der es
den Teilnehmern leicht fällt, zur eigenen Unvollkommenheit
zu stehen und sich für die Gute Nachricht zu
öffnen.
Fesselnd erzählt er aus der nordischen,
östlichen und keltischen Märchenwelt, von
fabelhaften Wesen, von Königen und Prinzessinnen, von
kleinen und großen Menschen, die auf dem Weg, auf dem
Lebensweg sind.(AudioClip
MP3)
Eine schöne Idee von dem, was Märchen sind,
stammt aus den nordischen Ländern, wo sie als
„Ohrenlicht" verstanden werden. Märchen sind
keine Literatur, sie leben davon, daß sie erzählt
und gehört werden.
Märchen sind nicht wahr, weil sie passiert sind, d. h.
heute passiert und morgen vergessen, sondern Märchen haben
einen wahren Charakter, weil wir sie bewahren und
nicht vergessen wollen. Ein Märchen ist eine
kleine Mär , eine kleine Botschaft vom
„anderen Leben". Häufig geht es in ihnen um die
Urangst, nicht geliebt zu werden – um die Angst vor etwas
Übermächtigem.
Märchen folgen derselben Logik bzw. Unlogik wie ein Traum:
Erfahrungen, die wir nicht definieren können,
suchen eine Geschichte. Märchen sind keine
Lügengeschichten für Kinder oder
Leichtgläubige, sondern eine zauberhafte Form von Poesie
gegen die Leere und Trostlosigkeit eines vorgeplanten Lebens ohne
Wunder. Märchen sind – wie die Evangelien
– voller Wunder, über die sich kaum jemand
wundert. Märchen erzählen von der Hoffnung auf
Veränderung, auf Besserung.
Märchen sind keine Moralträger, keine
Erziehungs-, sondern Erlösungsgeschichten.
In ihnen geht es um Entwicklung, Verwandlung und
Erlösung der Menschenkinder. Sie handeln vom
Lebensweg des Menschen, von Pech und Glück, von
Flucht und Suche und Heimkehr, von einer verlorenen zu einer
gewonnenen Heimat.
Der Mut zum eigenen Leben ist eine wichtige
Märchenbotschaft: „Du mußt deinen Weg
gehen!" Das Bewußtsein, nicht davon laufen zu
können, hilft, die eigene Vergangenheit zu
bewältigen, sich mit ihr auszusöhnen.
Eine innere Entwicklung wird als
äußeres Geschehen erzählt, als
ein Weg, der mehr Spirale als eine Gerade ist. In der Gestalt
typischer Figuren zeigen sich Lebensmöglichkeiten in der
Welt um uns herum und in der Welt in uns drinnen.
Die wahren „Helden" der Märchen sind in der
Regel die Kleinen, Verkannten, Verachteten, welche durch
Leid, Schuld, Angst und Prüfung zum wahren Leben, zu ihrem
„wahren Ich" finden. Ein Kleiner heißt
nicht gleich Kind, sondern steht als Zeichen für
einen Menschen, der noch wachsen und sich entwickeln
kann.
Der Gedanke, daß es zum Wesen des Menschen
gehört, sich über seine Welt hinauszulehnen, ist
die Basis auf der Suche nach Gemeinsamkeiten von Märchen
und Evangelien.
Dickerhoff betonte, Märchen wären weder
ausschließlich noch dogmatisch korrekt
„christlich" und würden auch keinen
theologischen Anspruch erheben. Sie wären jedoch als
Wissen über den Menschen unbewußte Theologie,
wenn sie zum Beispiel von helfenden Lebenskräften, die den
Kleinen und Aufrechten zur Seite stehen, und vom Sieg der Liebe
über den Tod erzählen.
Dickerhoff vergleicht
Märchen als ein Kind alter Menschheitshoffnung mit
Johannes dem Täufer als Vorläufer der Evangelien.
Die Beziehung von Johannes und Jesus erscheint ihm seelenverwandt
mit der von Märchen und christlichem Glauben.
Ein großes gemeinsames Thema von Christentum und
Märchen ist die Erlösung des Menschen aus
seiner Verwünschung, aus Sünde, Isolation,
Angst und Enge.
Weder Christentum noch Märchen beschwören eine
heile Welt, aber sie stehen für eine heilbare Welt.
In beiden ist das Wunder der Verwandlung, der Entwicklung
möglich.
Wichtig ist es, seine eigene Dunkelheit zu erkennen, denn wer den
Funken in der Asche seines Lebens findet und entzünden
läßt, der wird vom Aschenputtel zum
Königskind.
Der Sieg über sich selbst, zu seinem
„grünen Band" als Zeichen der eigenen
Schwäche zu stehen; die Einsicht, nicht perfekt sein zu
müssen und seinen eigenen Weg gehen zu können und
dabei geliebt zu werden, wie es die „Helden" der
Märchen erleben, entspricht christlichem Gedankengut.
Was immer man tut, Vergebung durch Gott und die Mitmenschen zu
erfahren – ein christlicher Grundgedanke.
Als Hauptbotschaft, als Gute Nachricht vermittelt Heinrich
Dickerhoff, daß sowohl Märchen als auch
christlicher Glaube sagen: „Du bist
erwünscht! Du bist erwartet!"
Wir freuen uns schon auf das nächste Jahr, wenn Dr.
Dickerhoff im November wieder in unsere Pfarrei kommt und mit einem
neuen Thema die Tagungsteilnehmer in seinen Bann zieht.
Abschließend sei noch angemerkt, daß es
mucksmäuschen still in der Kirche war, als Heinrich
Dickerhoff das Märchen vom „Tod und dem
Knäckebrot" erzählte, in dem es um einen kleinen
Jungen geht, der mit Liebe, Mut und festem Willen den Tod besiegt.
Dieses und andere Märchen unter der Bearbeitung von
Heinrich Dickerhoff sind auch im Internet zu finden.
Angelika Stellert
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