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Javier Marías – "Der Gefühlsmensch"

 

Der Autor dieses Romans dürfte vielleicht schon bekannt sein, es handelt sich hier um einen der angesehensten zeitgenössischen Schriftsteller der spanischen Literatur, der schon mehrfach ausgezeichnet wurde und zuletzt großen Erfolg mit dem Buch "Mein Herz so weiß" hatte.

Der Roman "Der Gefühlsmensch" behandelt in abstrakter und philosophischer Form das Thema Liebe, wobei nicht eine ausgefeilte Handlung, sondern vielmehr die Beschreibung des Beziehungsgeflechts zwischen den Protagonisten im Vordergrund steht.

Es geht um einen Opernsänger, den Ich-Erzähler, der eine Geschichte bzw. Episode aus seinem Leben wiedergibt. Diese beginnt auf einer Zugfahrt, wo er zum ersten Mal drei Personen begegnet: Der schönen Natalia, ihrem despotischen Gemahl und einem Begleiter namens Dato. Dieses Trio trifft er in einem Hotel in Madrid wieder, wo er im Laufe der Zeit Kontakt mit Dato und Natalia knüpft und schließlich eine Beziehung zwischen der schönen Frau und dem Opernsänger entsteht, die lange Zeit nur erahnt und unerfüllt bleibt. Nach und nach stellt sich die Rolle des Begleiters Dato heraus, der dafür bezahlt wird, Natalia zu unterhalten, da ihr Mann stets unterwegs ist und seinen Geschäften nachgeht. Außerdem scheint Dato mehr noch eine Art Wächter zu sein, der die Frau so gut wie nie alleine lässt.

Dennoch spitzen sich das Geschehen und die Leidenschaft dramatisch zu und enden ebenso unerwartet wie tragisch...

 

Ich persönlich fand diesen Roman trotz teilweise wirklich anspruchsvoller Sprache (oder vielleicht auch gerade deswegen) sehr spannend. Begeistert hat mich die komplexe und literarisch absolut meisterhafte Beschreibung von den zwischenmenschlichen Beziehungen, der Spannung zwischen Natalia und dem Opernsänger, der Leidenschaft, die man förmlich gespürt hat. Nicht umsonst heißt dieses Buch "Der Gefühlsmensch", denn es strotzt vor sehr gut veranschaulichten Emotionen und vor Sensibilität, die sich auch im Umgang des Autors mit der Sprache widerspiegelt.

Ich würde dieses Buch jedem empfehlen, der Lust auf wirklich gute Literatur hat, die mit Niveau unterhalten kann.

Nun noch ein kleiner Vorgeschmack und viel Spaß beim Lesen!

 

"Ich weiß nicht, ob ich euch meine Träume erzählen soll. Es sind alte, aus der Mode gekommene Träume, die eher zu einem Jüngling als zu einem erwachsenen Mann passen würden. Sie sind überladen und präzise zugleich, etwas behäbig, wenngleich voller Kolorit, wie es die Träume einer versponnen, jedoch im Grunde einfachen Seele, einer sehr ordentlichen Seele sein könnten. Träume, die mit der Zeit etwas ermüdend sind, weil derjenige, der sie träumt, immer vor ihrem Ende aufwacht, als erschöpfe sich der träumerische Impuls in der Darstellung der Einzelheiten und lasse das Ergebnis außer acht, als sei die Tätigkeit des Träumens die einzige noch ideelle und zweckfreie Tätigkeit. Ich kenne also das Ende meiner Träume nicht, und es mag unbesonnen sein, sie zu erzählen, ohne eine Schlußfolgerung oder eine Lehre anbieten zu können. Und doch erscheinen sie mir phantasievoll und sehr intensiv. Das einzige, was ich zu meiner Entlastung anführen kann, ist, daß ich ausgehend von dieser Form der Dauer – diesem Ort meiner Ewigkeit – schreibe, die mich erwählt hat.

Was ich heute morgen träumte, als es schon Tag war, ist jedoch etwas, was wirklich geschah und was mir geschah, als ich etwas jünger oder weniger alt war als jetzt, obwohl es noch nicht zu Ende ist."

(Javier Marías: Der Gefühlsmensch. Piper Verlag GmbH, München

10. Auflage 2000. S.7)

Cosima Kießling

 

 

  

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