BÜCHERKISTE

Wolfram Fleischhauer – "Die Frau mit den Regenhänden"

Kaum zu glauben, dass so ein guter Schriftsteller so unbekannt ist!

"Die Frau mit den Regenhänden" setzt sich aus zwei Geschichten zusammen, die beide in Paris spielen und miteinander verwoben sind, obwohl die eine im Frühjahr 1867 und die andere im Frühjahr 1992 stattfindet.

1867, kurz vor der Eröffnung der Weltausstellung, wird aus der Seine die Leiche eines Kindes geborgen. Seine Mutter Marie wird des Kindsmords beschuldigt, obwohl sie steif und fest behauptet, ihr Kind sei krank gewesen und sie habe es ins Krankenhaus gebracht. Der Pflichtverteidiger Bertaut stößt auf Ungereimtheiten, Lügen und Intrigen.

Parallel zu dieser Erzählung läuft die Geschichte über Gaëtane, eine unbekannte schöne junge Frau, deren Geheimnis Bruno, ein deutscher Student, der gerade seine Doktorarbeit in Paris schreibt, ergründen möchte. Die beiden lernen sich in der Bibliothek kennen und Bruno verliebt sich in Gaëtane, die auffällig abweisend und schroff ist und ihm erst nach und nach ihre tragische Geschichte anvertraut.

Verknüpft sind beide Handlungen, der Krimi und die Liebesgeschichte, zunächst einmal durch den Ort Paris und die Tatsache, dass Bruno in seiner Dissertation über die Weltausstellung in Paris 1867 schreibt. Hier werden zeitgeschichtliche, politische und soziale Hintergründe über Napoléon, sämtliche Kaiserreiche und die Französische Revolution sehr anschaulich, präzise und äußerst interessant dargestellt. Auf diesem geschichtlichen Hintergrund baut sich die spannende Erzählung von einer vermutlich zu Unrecht angeklagten Mutter auf. Sehr langsam werden die Ungereimtheiten aufgeklärt, eine Grundspannung und Ratlosigkeit ist bis kurz vor Schluss erhalten.

Die ganze Zeit über fragt man sich, was nun diese Geschichte, mal abgesehen von realhistorischem Hintergrund und dem Schauplatz des Geschehens, mit Gaëtane und Bruno zu tun hat, doch auch hier gibt es überraschende Wendungen und schließlich eine überzeugende Auflösung, die beide Erzählungen untrennbar miteinander verbindet.

Diese Unwissenheit und auch Neugierde, die den Leser von Anfang an befällt, zwingt ihn, das Buch weiterzulesen, um Klarheit zu gewinnen und die Zusammenhänge zu verstehen. Sprachlich und inhaltlich meisterhaft ist es Wolfram Fleischhauer gelungen, einen sehr niveauvollen Roman zu schreiben, der mich berührt und bewegt hat, der Geschichte vermittelt, ohne sie zum Hauptthema werden zu lassen, der zugleich tragisch und traurig ist und der mich bis zur letzen Seite gefesselt hat.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen und freue mich persönlich schon darauf, ein weiteres von Wolfram Fleischhauer, dem leider bisher sehr unbekannten Autoren, zu lesen.

Viel Spaß und hier wieder wie üblich eine kleine Kostprobe, ein Auszug aus einem Brief von Gaëtane an Bruno, der als Prolog am Anfang des Romans steht.

Cosima Kießling

Cher Bruno,

[...] Gestern abend wollte ich Dir schreiben und habe es nicht mehr ausgehalten, wollte Deine Stimme hören. Aber Du warst nicht da. Wo warst Du? Ach, Briefe sind immer von Toten an noch nicht Geborene. Sobald Dein Zeigefinger die Stelle zerschneidet, die meine Zunge beleckt hat, schon ist es etwas anderes. Wie sehr fehlt mir der Klang Deiner Stimme. Bist Du mit der Übersetzung der Geschichte weitergekommen? Wie fühlt sie sich an in Deiner Sprache? Ich habe auf der Rolltreppe im Flughafen Gesprächsfetzen von deutschen Touristen belauscht und bin ihnen sogar ein Stück gefolgt. Welch seltsame Sprache, deren Klang mich so an Dich erinnert. Es erregt mich zu wissen, daß jedes Wort, jede Beschreibung aus meiner Feder nun durch Deine Seele geht und sie mit Bildern füllt, die ich gesehen habe. Ich wäre gerne jedes einzelne dieser Worte, neide ihnen, daß Deine Augen auf ihnen ruhen, ihr Klang vielleicht Deine Zunge bewegt.[...]

Ich mußte an Marie denken, an ihr Leben damals in Belleville. Ich denke oft an sie, fühle mich ihr nah. Ich sehe sie auf dem Wehr am Kanal St. Martin stehen, den Blick auf das schwarze Wasser unter ihr gerichtet, die Hände um die Brüstung gekrallt.

Du weißt, daß ich Maries Geschichte erzählt habe, um nicht verrückt zu werden. Ich habe sie Dir zu lesen gegeben, um Dir etwas zu sagen, worüber ich nicht sprechen konnte. Maries Geschichte ist meine Geschichte. Aber das ist nur ihre Bedeutung. Erst durch uns bekommt sie einen Sinn.

Erzähle mir auch Deine Geschichte. Ich will Deine Stimme hören, Deinen Erinnerungen lauschen. Und dann, wenn alles gesagt ist, sprich nur noch meinen Namen, leise und sanft an meinem Ohr.

Ich spreche still den Deinen mit jedem Schlag meines Herzens.

Bruno.

A bientôt, mon amour, Mainsdepluie

(Wolfram Fleischhauer: Die Frau mit den Regenhänden. Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. München 2001.)

 

 

  

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