Der Heilige des Monats:

Hl. Johanna von Orléans - Jeanne d’Arc (30. Mai)

Der Stoff, aus dem die Dramen sind - dies lässt sich sicherlich behaupten, wenn man die Lebensumstände dieser Heiligen betrachtet: ein schwachsinniger König, Mord im Herrscherhaus, hundert Jahre Krieg, himmlische Stimmen, Verrat, Inquisition, Prozess, Scheiterhaufen sind äußere Bestandteile eines letztlich unerklärlichen Lebens.

Johanna kam vermutlich am 6.Januar 1412 im Dorf Domrémy an der Maas zur Welt, das damals im Herzogtum Lothringen, einer Grenzregion zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich, lag. Ihr bis heute erhaltenes Geburtshaus mit den kleinen Zimmerchen belegt klar ihren sozialen Stand: ein Bauernmädchen, das im übrigen nie lesen und schreiben lernte. Seit ihrem 13. Lebensjahr erlebt sie Erscheinungen des Erzengels Michael und der Heiligen Katharina und Margarethe, hört Stimmen, die ihr auftragen, nach Frankreich zu gehen und das Land zu retten. Äußerst ungewöhnlich an dieser himmlischen Sendung ist ihre politische Zielsetzung. Frankreich und sein Königtum rangen damals um die politische Existenz. Im "Hundertjährigen Krieg", der 1339 begonnen hatte, versuchten die Engländer ihre Ansprüche auf die französische Krone gewaltsam durchzusetzen und hatten bereits große Teile von West- und Nordfrankreich besetzt. Der noch nicht gekrönte französische Thronfolger war im Süden des Landes eingeschnürt und erlitt eine Niederlage nach der anderen, zumal sich das bedeutende Herzogtum Burgund im Südosten mit den Engländern verbündet hatte.

Nachdem sie fünf Jahre lang ihre Visionen erlebt hatte, brach Johanna im Alter von 17 abrupt auf, ohne sich von ihren Eltern zu verabschieden, um dem Thronfolger in dieser verzweifelten Lage ihre Hilfe anzubieten. Dieses Unterfangen wäre unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen völlig unsinnig und aussichtslos gewesen, doch trat Johanna derart bestimmt und zielsicher auf, dass es ihr unter Vermittlung von Militärs gelang, zum Kronprinzen vorzustoßen, dem sie sich als "Jeanne la Pucelle" (die Jungfrau) vorstellte. Dieser ließ sich sechs Wochen lang gründlich überprüfen, vor allem in theologischer Hinsicht ihren Anspruch, auf Geheiß Gottes "das heilige Königreich Frankreich" zu retten und ihn zum König krönen zu lassen. Nachdem sich nichts Bedenkliches ergeben hatte, übertrug der Thronfolger dem Mädchen eine militärische Mission. In Männerkleidern zog sie mit einer Truppe auf die strategische bedeutsame Stadt Orléans zu, die von den Engländern belagert wurde. Johanna gab ihrem Zug eine religiöse Weihe: Priester marschierten an der Spitze des Zuges, sie selbst trug eine weiße Fahne mit der Devise: "Jesus, Maria". Die Ankunft der ungewöhnlichen Gestalt mit ihrem Sendungsbewusstsein begeisterte die französischen Kräfte, die innerhalb weniger Tage die Engländer vertrieben. Diesem unglaublichen Sieg verdankt sie den Namen "Johanna von Orléans". Danach führte sie die Militärs zu weiteren Siegen über die Engländer, bis schließlich am 17.Juli 1429 der französische Thronfolger in der Krönungskathedrale von Reims als Karl VII. zum König gesalbt wurde. Johanna selbst assistierte, ihre Fahne tragend: ein Bauernmädchen als Königsmacherin!

Nach diesem völlig unerwarteten Erfolg drängte "La Pucelle" zur endgültigen Vertreibung der Engländer von französischem Boden, wurde aber nicht mehr vom König unterstützt, der von seinen intriganten Beratern zum Ausgleich mit den Feinden gedrängt wurde. Voller Ungeduld setzte Johanna mit schwachen militärischen Kräften ihre Kriegszüge fort und geriet bei Compiègne in die Gefangenschaft der Burgunder, die sie für ein königliches Lösegeld den Engländern auslieferten. Diese beschimpften sie als Hure, Hexe, falsche Prophetin und kerkerten sie unter demütigenden Bedingungen in der Stadt Rouen ein. Der französische König rührte keinen Finger für sie, und so stand sie alsbald im Alter von 19 Jahren ohne Verteidiger vor einem vielköpfigen Tribunal, das die Engländer unter Beteiligung der Inquisition zusammengestellt hatten.

Die Anklage umfasste zahlreiche Artikel, die in den Hauptvorwurf der Ketzerei mündeten. Die Theologen unter den Anklägern spitzten den Vorwurf auf die Frage zu, ob sich Johanna der kirchlichen Autorität unterwerfen wolle. Das Mädchen, das in der mehrmonatigen Haftzeit täglich ihre Visionen erlebte, hielt standhaft dagegen, wie die Prozessakten belegen: "Was mich betrifft, so unterwerfe ich mich in dem, was ich getan habe, einzig der Kirche des Himmels, das heißt Gott, der Jungfrau Maria und den Heiligen des Paradieses." Mit diesem Eintreten für die Freiheit des nur an Gott gebundenen Gewissens gegenüber der Autorität der Kirche erfüllte Johanna klar den Tatbestand der Ketzerei. Sie weigerte sich hartnäckig, auch unter Androhung der Folter, Widerruf zu leisten, und berief sich stets auf die himmlischen Stimmen. Nur einmal, in Anbetracht des Hinrichtungsplatzes, ergriff sie Panik. Sie willigte in einen Widerruf ein, den sie nach inneren Kämpfen und schweren Gewissensqualen widerrief. Offenbar hatte sie sich endgültig dazu durchgerungen, ihre göttliche Mission über ihr Leben zu stellen. Das Todesurteil folgte zwingend und wurde am 30. Mai 1431 vollstreckt. Johanna wurde in ein langes schwarzes Kleid gesteckt, eine spitze Papiermütze wurde ihr auf den geschorenen Kopf gesetzt, wo zu lesen war: "Häretikerin, Rückfällige, Apostatin, Götzendienerin". Sie brachte noch die Kraft auf, ihren Feinden ausdrücklich zu verzeihen und eine halbe Stunde lang zu beten. Mit dem Schrei "Jesus, Jesus" starb sie vor den Augen einer großen Menschenmenge in den Flammen des Scheiterhaufens von Rouen. Ihr Henker wurde noch am selben Tage von Reue erfasst, dem Sekretär des englischen Königs schwante: "Wir sind alle verloren, denn wir haben eine Heilige verbrannt!"

Nach 25 Jahren, als die Engländer völlig aus Frankreich vertrieben waren, veranlasste der französische König ein Revisionsverfahren, das die Unschuld Johannas feststellte, "da sie von Gott geführt wurde oder mit gutem Grund glaubte, von ihm geführt zu werden." Der Papst selbst hob das erste Urteil auf. Diese Kehrtwendung war für das Spätmittelalter nicht selbstverständlich, da sich die Menschen nur schwer vorstellen konnten, dass Gott durch Menschen derart folgenreich in die Geschichte eingreift - ohne das Zutun der Kirche!

In späteren Jahrhunderten wurde es ruhig um Johanna. Ihre Bedeutung für Frankreich wurde im Zeitalter des Nationalismus wiederentdeckt. 1920, kurz nach dem I. Weltkrieg, sprach Pius X. sie heilig. Sie gilt nun als Frankreichs "Nationalheilige", was dies auch immer sei. Ihre Abbildungen sind dort in großer Zahl anzutreffen. Sie wird als sehr jung dargestellt, meist in Rüstung mit Schwert und Banner, ihre bekannteste Statue steht in der großartigen gotischen Kathedrale von Reims.

Ihre außergewöhnliche Erscheinung, besonders ihre Spuren in der Geschichte, haben immer wieder Historiker, Theologen und vor allem Schriftsteller beschäftigt. Wissenschaftliche Thesen - manche bezweifeln wegen der ungewöhnlichen Umstände ihre Existenz überhaupt, andere gehen davon aus, sie sei ein unehelicher adliger Spross - psychologisierende Deutungen, Spott- und Verherrlichungsgedichte, Dramen - im deutschen Sprachraum ist Schillers "Die Jungfrau von Orléans" das bekannteste - und vieles mehr folgten in großer Zahl. Von einer "Erklärung" der Heiligen ist man freilich heute so weit entfernt wie zu ihren Lebzeiten.

J. Schweier

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