Warschauer Impressionen…

- eine Reise in Polens Vergangenheit mit Ausblick in die Zukunft

 

Zu einer vielversprechenden Erkundungsfahrt in die polnische Hauptstadt hatte uns unser sprachkundiges Küsterehepaar Scheja eingeladen - ein geschichts- und kulturträchtiger Gang durch Polens Vergangenheit und Gegenwart wurde es schließlich dank einer ausgezeichnet vorbereiteten Stadtführerin!

In aller Herrgottsfrühe waren wir zum Bahnhof Zoo bestellt - und kamen nach sechsstündiger Fahrt - scheinbar in der „Nacht" - an: Blauweiß-schimmernde Leuchtstofflampen ersetzen das erwartete Tageslicht. „Achtung Taschendiebe!" - unsere Reiseleiter sichern den Rückzug aus der dunklen Bahnhofsunterwelt, vorneweg Jan, hinten Barbara.

Oben angekommen, empfängt uns hauptstadtgemäß lärmender Verkehr; der in unmittelbarer Nähe befindliche, im „Zuckerbäckerstil" Moskauer Parteien-Geschmacks erbaute „Kulturpalast" kontrastiert in verblüffendem Maße mit dem Gewimmel benachbarter Gebäude, wiedererstanden aus einer nicht mehr nacherlebbaren Vorkriegswelt bzw. neuerrichtet als Büro- und Geschäftshäuser in moderner, heute weltweit anzutreffender kalt-gläserner Fassadenarchitektur. Oh Gott, welch abgrundtiefer Unterschied!

Die Fahrt zu unserem Quartier - ein Kloster des Schönstatt-Ordens und zugleich Bildungsstätte - gestaltete sich langwieriger als geplant; wie überall fordert schließlich der Nachmittagsverkehr seinen Tribut. Dabei ist der Weg vom Zentrum an den südöstlichen Stadtrand nicht einmal besonders weit, vergleichbar in etwa mit dem für uns in Berlin. Berufsverkehr und Baustellen mußten also in den kommenden Tagen zeitlich eingeplant werden.

Im nahe der Weichsel gelegenen Kloster fanden wir freundliche Aufnahme; drei Schwestern sorgten während der Tage für das leibliche Wohl, für den täglichen Gottesdienst stand uns zeitweilig einer der Patres zur Verfügung. Zwischendurch gestalteten für uns Herr Jahn und Herr Scheidmann den Wortgottesdienst in beeindruckend feierlicher Weise.

Unser Programm sah Fahrten zu Stätten von historischer und künst-lerischer Bedeutung in und um Warschau vor, aber auch der Genuss von gutem Essen und Trinken sollte nicht zu kurz kommen!

So wurden wir gleich am Abend des ersten Aufenthaltstages nach ausgedehnter Stadtbesichtigung in das jüdische „Restaurant der singenden Kellnerinnen und Kellner" geführt und erlebten heitere Stunden bei mehrgängigem Menü, süffigem Wein und engagiert vorgetragenen Liedern. Ja, sogar ein Tänzchen durfte gewagt werden!

Dass gleichzeitig eine kleine Hochzeitsgesellschaft zugegen war, steigerte nur noch die Sangeslust aller Gäste! Unserem tanz- und sangesfreudigen, ja erstaunlich animiertüchtigen Küster verdanken wir hier manche unerwartet kostenlose Getränke!

Nun zu unserer gastgebenden Stadt:

Warschau, ehemals das Dorf Warczowa, gegründet auf den Überresten einer schon im 7. bis 9. Jahrhundert bestehenden Burganlage, am Schnittpunkt zweier in nord-südlicher bzw. west-östlicher Richtung verlaufender Handelswege auf dem Boden Masowiens, ist bis ins 16. Jahrhundert hinein im Vergleich zu den beiden seinerzeit wichtigsten Handelsstädten Danzig und Krakau noch eine kleine, weniger bedeutende Stadt.

Mit dem Ableben des letzten Fürsten von Masowien (1526) , der keine Erben hinterließ, wurde das Land der polnischen Krone angeschlossen. 1596 wurde die Königsresidenz nach mehreren Zwischenaufenthalten endgültig nach Warschau verlegt. Bereits in den Siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts wurde die Union zwischen Polen und Litauen beschlossen und das Wahlkönigtum etabliert. Kennzeichnend ist fortan die Schwäche der Zentralgewalt gegenüber der Stärke des Hochadels.

So wird für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts Warschau beschrieben als „ein loser Komplex von Städten und Kleinstädten, Juridica*, Siedlungen, Kirchen und Klöstern, Palästen und Adelshäusern, Landsitzen, Feldern und Obstgärten". Unsere Stadtführerin sprach in diesem Zusammenhang von Warschau als dem „zu groß gewordenen Dorf"!

(*Juridica = Vorstadtgrundstücke im privaten Besitz des Adels und des Klerus, die weder der städtischen Verwaltung noch der städtischen Gerichtsbarkeit unterstanden, zumeist von Juden bewohnt.)

Nach der Wahl von Jan III. Sobieski zum König und der siegreichen Schlacht gegen die Türken vor Wien (1683) begann für Polen eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit.

Eine zweite „goldene Zeit" wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung fiel in die Zeit des letzten souveränen polnischen Königs Stanislaw August Poniatowski im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts.

Der 3. Mai 1791 brachte den Polen mit der Verabschiedung der Verfassung die vollen Bürgerrechte; Verwaltung und Gerichtsbarkeit lagen nun bei magistralen Behörden.

Die 1772, 1793 und 1795 erfolgten Teilungen unter Preußen, Österreich und Russland bewirkten jedoch eine allmähliche Erosion bürgerlicher Freiheiten, so dass es immer wieder zu Aufständen kam (Kosciusko-Aufstand 1794, November-Aufstand 1830, Januar-Aufstand 1863/64).

1795 verschwand Polen für 123 Jahre von der europäischen Landkarte. Erst 1918 erlangte es, unterstützt durch das 14-Punkte-Programm des amerikanischen Präsidenten Wilson, wieder seine Unabhängigkeit.

Soweit der erste Teil der Geschichte … Werner Grünky

(Fortsetzung im Dezember-Heft)

 

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