BÜCHERKISTE

Birgit Vanderbeke: "Alberta empfängt einen Liebhaber"

Es geht um die Geschichte von Alberta und Nadan, die sich schon als Jugendliche in den siebziger Jahren ineinander verlieben, jedoch erst Jahre später ein Paar werden. Ein Paar jedoch, das scheitert, scheitert an sich selbst und ihrer Liebe, an der Unfähigkeit, zu ihr zu stehen, in ihr zu leben, sich gegenseitig im Alltag zu ertragen und hinzunehmen. Nach der eigentlich unvermeidlichen Trennung und jahrelanger Kontaktpause treffen die beiden sich wieder. Aber auch jetzt ist ein Neuanfang nicht mehr möglich, Nadan hat bereits eine Familie, auch Alberta möchte sich nicht auf eine Affaire mit dem verheirateten Mann einlassen. Die Verhältnisse sind klar.

Gleichzeitig geht es um die Geschichte einer Autorin, die mit ihrem Mann Jean-Philippe und der gemeinsamen Tochter in Frankreich bei den Schwiegereltern lebt und eben an dieser Geschichte über Alberta und Nadan schreibt. Hier finden seltsame Überschneidungen statt, man fragt sich, was die Autorin oder ihr Mann (mit dem sie über ihre Geschichte spricht) denn eigentlich mit Alberta und Nadan gemeinsam haben. Gibt es Parallelen? Warum scheint diese so wichtig, warum arbeitet sie immer wieder daran, erzählt weiter und weiter? Und was geschieht in ihrer Beziehung mit Jean-Philippe?

Hier genau beginnt es spannend zu werden und ich kann versprechen, dass es ein schönes, manchmal sehr resigniertes und deprimierendes Buch ist, das ein paar Wahrheiten enthält. Die Fragen, die man als Leser sich stellt, werden nicht unbedingt explizit beantwortet, man sollte also suchen, nachlesen, forschen und genau auf Feinheiten achten, die die Vermischung der Erzählebenen und Personenkonstellationen anklingen lassen.

Eine unendliche Liebesgeschichte, die dennoch kein befriedigendes Ende hat. Zwei einsame Menschen, die nicht einsam sein müssten, die man nicht versteht und wo man sich sagt, es könnte doch so leicht sein, aber gleichzeitig begreift man: Es ist nicht leicht und es ist wohl auch nicht möglich und seltsamerweise leuchtet das ein.

Ein nettes, aber nicht simples Buch, das sich zur gemütlichen, wenn auch etwas verwirrenden Lektüre ideal eignet!

Viel Spaß damit und wie immer einige Leseproben im Anschluss,

Cosima Kießling

"Es gibt Momente, in denen das Leben plötzlich anhält, weil es sich verschluckt hat. Es verschluckt sich, hält an und hält die Luft an, es hält eine ganze Weile die Luft an und weiß nicht, wie es weitergeht, und schließlich atmet es aus, und bis es wieder den Rhythmus findet, könnte man denken, daß es vergessen hat, wie es sich atmet, aber dann atmet es wieder durch und geht weiter. Aber es hat einen Moment lang angehalten, und etwas bleibt verschluckt und in den angehaltenen Augenblick eingesperrt, es bleibt zurück und kann nicht mehr aus dem Moment heraus und mit dem Leben mit, wenn es durchatmet und dann weitergeht."

"Nach einer Weile fing ich an, mich zu fragen, wann ‘nachher’ sein würde und ob vielleicht ‘nachher’ jetzt ungefähr anfinge, es war später Vormittag und also vielleicht schon ‘nachher’, aber wahrscheinlich doch noch zu früh. Es ist erschreckend, wie kindisch manche Berechnungen sein können, die ein erwachsener Mensch anzustellen imstande ist. Ich erinnere mich, daß ich nach einigen ziemlich verwinkelten Überlegungen beschloß, ’nachher’ könne kaum vor drei Uhr anfangen. Das war selbstverständlich ohne Bedeutung, aber es könnte schließlich sein, daß es mich beruhigen würde.

Als ich damit fertig war, beruhigte es mich überhaupt nicht."

"Gerade als ich mich zur Versöhnung entschlossen hatte, fiel mir unglücklicherweise etwas ein, was ich weiter hinten im Kopf aufbewahrt hatte und was ich lieber vergessen hätte, aber nun war es da und tat weh und erinnerte mich daran, daß Kriege zwischen Männern und Frauen schließlich auch richtige Kriege sind. Als ich jung war, glaubte ich nicht, daß es richtige Kriege sind, in denen einer den anderen ins Verderben schicken kann, ich staunte, wenn ich in Büchern von den seltsamen Versehrungen las, die man durch Liebe davontragen kann, ich wußte nichts von den Verstümmelungen und Toden, die Männer und Frauen einander antun können, die Endlichkeit war eine ausgemachte Sache, die mich manchmal beunruhigte, aber schließlich lag sie weit weit dahinten in der Nähe der Unendlichkeit, und die Liebe war in meinem Fall eben eine danebengegangene Urgeschichte, eine Heuschreckenplage, die gelegentlich über mein Leben herfiel und es ziemlich wüst aussehen ließ, wenn ich es danach wiederbekam, aber mich selbst, dachte ich, läßt sie doch wohl heil und unbeschädigt."

(Birgit Vanderbeke: Alberta empfängt einen Liebhaber. Fischer Taschenbuchverlag GmbH, Frankfurt a.M., 5. Aufl. Oktober 2000. S.15, 88, 104/5)

 

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