Rockmusik, Weihrauch,
Stullen
und viel Ökumene
Kirchen in Berlin und Brandenburg öffneten in der Pfingstnacht ihre Türen
Berlin/Jüterbog - Ein großes Transparent vor
der Kirche lädt zum Besuch ein. Nur ein paar Schritte
von der Steglitzer Schloßstraße entfernt stehen die
Türen der Rosenkranz-Basilika in der Kieler Straße
weit offen. Drinnen riecht es nach Weihrauch. Ältere und
jüngere Menschen sind zur Vesper gekommen. Im Wechsel
mit dem Chor singt die Gemeinde Psalmen. Der Pfarrer
erklärt, was es auf sich hat mit dem Ewigen Licht und
dem Tabernakel in einer katholischen Kirche. Das tut er sonst
nicht, aber heute nehmen nicht nur Insider an der Vesper
teil. Neugierige, die sich eher schüchtern in die
hinteren Bänke gesetzt haben. Ein junger Mann mit
Rucksack etwa: „Ich wusste gar nicht, dass es so etwas
noch gibt“, meint er staunend und beschließt, erst
einmal zu bleiben. Das ältere Ehepaar dagegen
verlässt nach ein paar Minuten kopfschüttelnd die
Kirche. „Nicht unsere Welt“, sagen sie. Nach der
Vesper lädt Karl-Heinz Hoefs zur Kirchenführung
ein. Geweiht sei die Kirche der „Königin des
Heiligen Rosenkranzes“, erklärt der Pfarrer. Aber
was ist ein Rosenkranz? Auch das erklärt der Pfarrer
Nicht-Katholiken. Bei der Beschreibung von Wand- und
Deckengemälde in der Basilika setzt Hoefs allerdings
fundierte Bibelkenntnisse voraus. Doch niemand stellt
Fragen.
Die „Nacht der offenen Kirchen“ begrüßt
der Pfarrer ausdrücklich. „Wir haben eine kleine
Kommission gebildet und das Programm für die Nacht
zusammengestellt.“ Darin vorgesehen sind neben Vesper
und Kirchenführungen auch gemeinsames Singen, Meditation
und eine ökumenische Andacht gegen Mitternacht. Nicht
vorgesehen ist eine leibliche Stärkung. Schade, denn
Platz genug für ein kleines Buffet wäre in der
Basilika allemal.
In der kleinen Alt-Katholischen Ladenkirche in der Steglitzer
Presselstraße wartet Johannes Urbisch gegen 20 Uhr noch
gespannt auf Besucher. Der Pfarrer will die verschiedenen
Arten der Kirchenmusik anhand von Tondokumenten
erläutern. Draußen tobt ein schweres Gewitter. Wer
weiß, ob überhaupt jemand kommt? Doch langsam
trudeln die Besucher ein: Gemeindeglieder und Gäste
sitzen um den großen Tisch und reden über die 130
Jahre dauernde Tradition der Alt-Katholiken und ihren ganz
persönlichen Glauben. Ein konfessionsverschiedenes
Ehepaar schwärmt geradezu von der Offenheit der
Gemeinde, in der die beiden seit vielen Jahren Mitglieder
sind. Und Pfarrer Urbisch, ein ehemaliger
römisch-katholischer Priester, berichtet stolz von
steigenden Gemeindegliederzahlen und von der guten
Zusammenarbeit zwischen Alt-Katholiken und den übrigen
christlichen Kirchen in Berlin.
Ein paar Kilometer weiter, im Bezirk Lichterfelde, liegt in
der Promenadenstraße das „Menno-Heim“. In
der Nacht der offenen Kirchen sind die Fenster der
großen Backsteinvilla hell erleuchtet. Gäste werden
herzlich willkommen geheißen. „Fühlen Sie
sich wie Zuhause“, heißt es. Die Villa ist das
Gemeindezentrum der Mennoniten in Berlin, einer evangelischen
Freikirche, deren Ursprünge in der Täuferbewegung
der Reformationszeit liegen. In Berlin bezeichnen sich etwa
180 Christen als Mennoniten. Weltweit sind es mehr als eine
Million. Ihren Namen haben sie von Menno Simon, einem
niederländischen Kirchenführer. Diese Informationen
erfahren die Besucher in der Pfingstnacht von Bernhard
Thiessen. Anhand von Dias erzählt er die Geschichte der
mennonitischen Kirche. Schwerpunkt der Berliner Gemeinde ist
seit vielen Jahren die Betreuung von Russlanddeutschen. Immer
wieder kommen Besucher, trinken einen Tee und kommen
miteinander ins Gespräch.
Brennende Fackeln vor der evangelischen
Dreifaltigkeits-Kirche in Berlin-Lankwitz weisen Neugierigen
den Weg. Drinnen im Altarraum wird getanzt. Frauen und
Männer bewegen sich im Kreis zu meditativer Musik.
„Sakraler Tanz“ ist ein Programmpunkt
während der Pfingstnacht. Die große Kirche ist gut
besucht. Vor allem junge Leute sind gekommen. Draußen
hat die Gemeindejugend ein Zelt aufgebaut und bietet
hungrigen Kirchenbesuchern zu später Stunde Stullen,
Kuchen und Getränke an. Gisela Kraft freut sich.
„Die Resonanz auf die Offene Kirche in dieser Nacht ist
beachtlich.“ „Ich hab mich bisher noch nicht
reingetraut, aber heute ist das alles so
unkompliziert“, sagt eine junge Frau.
Kurz vor 23 Uhr ist Björn ein biss-chen nervös. Er
ist Sänger in der Rock-Band „Out of
Control“, die gleich im Seitenschiff der Kirche ihren
Auftritt hat. Doch außer Kontrolle geraten die
Zuhörer dann doch nicht. Alles verläuft sehr
gesittet, man ist ja in der Kirche.
Weihrauch, Kerzen und orthodoxe Gesänge empfangen die
Besucher der „Kathedrale Christi Himmelfahrt“.
Die griechisch-orthodoxe Gemeinde St. Georgios, ganz in der
Nähe vom S-Bahnhof Steglitz, feiert bis in den Morgen
hinein - zusammen mit der bulgarisch-orthodoxen Gemeinde -
einen traditionellen Pfingstgottesdienst. Nur einige wenige
Besucher haben sich in der dunklen Kirche versammelt.
Neugierige Gäste werden von Gemeindemitgliedern eher
misstrauisch beäugt. Ein wenig ungewohnt ist es ja auch,
dass während der Liturgie fotografiert wird und Besucher
kommen und gehen wann sie wollen.
Zwei Stunden vor Mitternacht zeigt die Turmuhr der
evangelischen Liebfrauenkirche. Birkenzweige schmücken
die weit geöffnete Kirchentür. Im Innern sehen
Luther und Melanchthon stumm auf die nächtlichen
Besucher herab. Vor dem Altar und in der Taufe erhellen
Kerzen das mittelalterliche Gotteshaus, das älteste
Gebäude der Stadt Jüterbog und des Flämings.
Kanzel und Baldachin werfen dunkle Schatten an die Wand.
Deckengewölbe und Altarfiguren scheinen sich im
spärlichen Licht zu bewegen, das halbe Hundert Menschen
gar nicht wahrnehmend, das dankbar in den Kirchenbänken
dem Orgelspiel lauscht und die wohltuende Ruhe der Kirche
genießt.
Superintendent Matthias Fichtmüller und Pfarrer Bernd
Lotz lesen Psalmen und Texte. „Der heilige Geist, ein
heller Streifen Licht“, hallt es von den
ehrwürdigen Mauern zurück. „Ein Lächeln
in der Wüste.“ Der Projektor wirft Lichtbilder an
die Kirchenwand.
Als das Licht angeht, blinzeln die Gäste sich geblendet
an. Junge und alte Besucher sind gekommen, auch Konfirmanden,
mit und ohne Eltern, sind dabei. Zögernd stehen einige
auf, begrüßen Bekannte, andere bleiben
unschlüssig sitzen. Schließlich ist es das erste
Mal, dass die Gemeinden sich in der Pfingstnacht treffen.
Keiner weiß genau, wie es weitergeht. Zwei Ehepaaren
erklärt der Superintendent die Kirche. Dann lädt er
zur ökumenischen Nachtwanderung durch die vier Kirchen
ein. Auch die alte Dame aus der ersten Reihe geht mit.
Vorsichtshalber klemmt sie den Regenschirm unter den Arm.
„Da muss man doch hingehen, wenn so etwas angeboten
wird“, meint sie unternehmungslustig.
Gospelgesänge empfangen das wandernde Gottesvolk in der
katholischen Kirche St. Hedwig. Mal schrill und mal zart,
einen Zauber von Wehmut verbreitend, erklingen Saxophone.
Liederzettel liegen bereit, die Orgel begleitet. „Hier
kann die Gemeinde mitmachen und selbst singen“, freut
sich eine junge Frau.
Der katholische Pfarrer Jürgen Wichert ist
überrascht, dass so viele gekommen sind. Für ein
gutes ökumenisches Miteinander in der Stadt bittet er.
Noch wandern wir durch viele Gotteshäuser, sagt er. Aber
eines Tages haben wir hoffentlich ein gemeinsames, weil wir
wieder eine Kirche sind. „Störe mich, wo ich
gestört werden muss“, wendet der Geistliche sich
im Gebet an den Heiligen Geist und erinnert daran, dass Sturm
und Feuer dessen Zeichen sind: Beide rufen Bewegung und
gewaltige Veränderungen hervor. Zu beidem muss bereit
sein, wer das Kommen des Geistes ersehnt.
Weiter wandert der kleine Zug übers Jüterboger
Kopfsteinpflaster. Passanten bleiben verwundert stehen, rufen
etwas hinüber. „Der Bürgermeister ist ja auch
dabei“, ist eine tiefe Männerstimme zu hören.
„Kommen Sie doch einfach mit”, gibt lachend der
Superintendent zurück. Umsonst. „Die gehen
dorthin, wo die Gesangbücher Henkel haben”,
erklärt jemand augenzwinkernd. Das Lachen muntert auf.
Fröhlich zieht die kleine Schar in die Jakobikirche am
Neumarkt ein, füllt fast alle Bänke. Die kleinste,
aber wichtigste Kirche, erklärt Pfarrer Lotz, liegt an
einem Pilgerweg. Der endet in Spanien in Santiago de
Compostella. So weit geht heute abend niemand mehr.
Müdigkeit steht auf den meisten Gesichtern, als um
Mitternacht die Kirchenglocken läuten. Von der
Orgelempore blasen die Posauen. Der üppige goldene
Kronleuchter, der sich in die renovierungsbedürftige
Kirche verirrt zu haben scheint, wird abwechselnd für
das Dia aus- und für die Bläser eingeschaltet. Was
nicht abgesprochen ist, wird einfach improvisiert. Niemand
stört es. Die Atmosphäre stimmt.
„Ich bin ja Konfirmand“, antwortet ein Junge auf
die Frage, ob er es gut findet, so nachts von Kirche zu
Kirche zu ziehen. Doch er und sein Freund bleiben auch noch
dabei, als die Nachtwanderer nach dem letzten Fußmarsch
in die imposante Nikolaikirche einziehen. Feierliche Musik
erklingt. Im Angesicht des gotischen Flügelaltars ist
eine festliche Tafel gedeckt. Mit Käse und Traubensaft,
Weißbrot und Wein stärken sich die Pilger, die
jetzt am Ziel angekommen sind. Zufriedene Gesichter weichen
den schläfrigen Blicken. Eindrücke werden
ausgetauscht. Ein junges Paar ist begeis-tert. Aus
Berlin-Charlottenburg sind sie extra angereist. „So
etwas muss öfter gemacht werden. Das ist irgendwie
näher dran am Leben, viel aktueller.“ In
Konkurrenz zum Gottesdienst wollen sie die Nacht nicht sehen.
Doch solche neuen Formen auszuprobieren, wo man noch einmal
„neu hinsieht und hinhört“, finden sie
wichtig.
Frohes Lachen fängt sich in den Säulen, der Abend
hat seinen Höhepunkt erreicht. Die erste Nacht der
Offenen Kirchen ist geglückt. Offene Kirchen - das
bedeutet für viele Gemeinden, egal welcher Konfession,
sich auf ganz neuem und unsicherem Terrain zu bewegen. Dass
sich so ein ökumenisches Projekt lohnt, hat die
Pfingstnacht bewiesen.
Monika Herrmann
und Sibylle Sterzik
Nr. 25/00 vom 18. Juni 2000
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