Richtkrone
gesetzt
Anklamer
Gemeinde freut sich über zügigen Fortschritt
bei Bau des neuen Gemeindzentrums
Anklam - Glücklich kann sich
schätzen, wer heute sein Auto stehengelassen hat.
Für die Reise von Berlin nach Anklam dürften an
diesem Freitag einige Stunden nötig gewesen sein. Es
sei denn, der oder die Vorausschauende hat sich für
einen Zug der Deutschen Bahn entschieden. Blech an Blech
schiebt sich die Autolawine am eingerüsteten, mit
weißen Kunststoffplanen bespannten
Steintor der Lilienthalstadt Anklam
vorbei. Meist sind es Einheimische Fahrzeuge mit den
Kennzeichen OVP oder
ANK - was nach der Kreisreform soviel
bedeutet wie Ostvorpommern oder
Anklam -, die sich durch den
Feierabend-stau quälen. Jedoch hier, am
Nadelöhr zwischen dem Festland und der Insel Usedom,
sind auch Anfang September noch zahlreiche Urlauber aus
Sachsen oder Bayern auszumachen, die den Beginn der
schönsten Zeit des Jahres wie so häufig von
Blech ummantelt, mehr stehend als rollend verbringen.
Manch Autofahrer versucht, seinen Streß mittels
runtergekurbelter Fenster und deutlich über der
gesundheitsamtlich als unbedenklich eingestuften
Schallgrenze hinaus aufgedrehter HiFi-Anlage abzubauen.
Dem zu Fuß gehenden oder in einem Straßenkaffee
sitzenden Beobachter der Szene geht nur eines durch den
Kopf: Gott sei Dank, es fährt nicht jeder einen
Omnibus.
Ein paar hundert Meter vom allfreitäglich
zelebrierten Anklamer Stau entfernt, sind
überwiegend strahlende Gesichter zu sehen. Worte wie
gute Laune, gelockerte Stimmung oder begründete
Freude charakterisieren die Situation in der katholischen
Gemeinde von Anklam wohl am ehesten. Pfarrer Norbert
Grützmacher und die Katholikinnen und Katholiken der
Gemeinde Salvator haben allen Grund zur Freude: Am nahezu
gerade begonnenen Neubau des Gemeindezentrums (die
KirchenZeitung hatte über die Grundsteinlegung
ausführlich berichtet) konnte am 4. September die
Richtkrone emporgezogen werden. Der Bau
verläuft planmäßig, und wenn es so weiter
geht, können wir hier am 20. Dezember Einweihung
feiern, freut sich Pfarrer Grützmacher.
Preiset Ihn, den Meister aller
Welt..., hatte zuvor der Zimmermann ausgerufen,
der den Richtspruch rezitierte. ... und du,
christliche Gemeinde, stimm in mein Lob mit
ein, hieß es dann an einer anderen Stelle.
Die Anklamer Gläubigen ließen sich nicht
zweimal auffordern. In dem Raum, der einmal der
Gemeindesaal werden soll, feierten sie ein zünftiges
Richtfest. Doch bevor es soweit war, hatte der Bauherr,
Pfarrer Grützmacher, die Ehre, den letzten Nagel in
das Dachgebälk zu schlagen. Exakt 34
Hammerschläge auf den gut 20 Zentimeter langen
Dachnagel trieben dem ganz in schwarz gekleideten Pfarrer
die Schweißperlen auf die Stirn. (Das mag neben dem
strahlenden Sonnenschein auch daran gelegen haben,
daß einige Schläge mit dem schmalen
Zimmermannshammer daneben gingen. Aber welcher Meister
ist denn schon vom Himmel gefallen?)
Pfarrer Norbert Grützmacher kam besonders in der
ersten Stunde nach dem Setzen der Richtkrone nicht zum
Feiern. Immer wieder mußte er den Gästen
erklären, wie die Raumaufteilung erfolgt, wo seine
Wohnung liegen wird, wo sich die Bäder, Wohn- und
Schlafräume, die Terrassen, Kammern und Küchen
befinden. Gerne und bereitwillig führte der
Geistliche die Fragenden und um Orientierung
Bemühten durch den Rohbau. Der rund 600 Quadratmeter
große, kellerlose Bau erstreckt sich auf zwei
Etagen. 37 Betonpfeiler mußten elf bis 14 Meter tief
in die Erde gerammt werden, um dem Fundament Halt zu
geben. Der Untergrund besteht aus haltlosem
Fliessand und aus Moorschichten, weiß
Pfarrer Grützmacher. Bei dem Baugrundstück
handele es sich um einen verlandeten Peenearm. Bis ins
Mittelalter hinein verlief hier ein Teil des Flusses.
Heute fließt der Peenestrom in reichlicher
Entfernung genau parallel zum Baugrundstück.
Die untere Etage des rohbaufertigen Gemeindezentrums wird
die Gemeinderäume und Büros beherbergen. Oben
entsteht neben der neuen Wohnung des Anklamer Pfarrers
noch eine zweite Wohnung. Pfarrer Grützmacher:
Perspektivisch könnte im oberen Bereich
des Hauses auch einmal eine Familie wohnen, zum Beispiel
die eines verheirateten Diakons. Der Geistliche
spielt mit dieser vorausschauenden Äußerung auf
den Priestermangel im Erzbistum Berlin an. Nach seinen
Worten gebe es bereits Überlegungen, die Dekanate
Stralsund und Greifswald zu einem Großdekanat
Vorpommern zusammenzuschließen. Dann
allerdings, so Grützmacher,
müßten die katholischen Familien
wesentlich beweglicher werden als bisher.
Allein die Anklamer Pfarrei umfaßt eine Fläche
von 750 Quadratkilometern. Etwa 150 Dörfer und
kleine Ortschaften gehören zum Pfarrgebiet. Heute
feiert Pfarrer Grützmacher Gottesdienste in drei
Außenstationen der Gemeinde Salvator.
1,3 Millionen Mark wird das Gemeindezentrum kosten. 80
Prozent der Gesamtsumme tragen das Erzbischöfliche
Ordinariat in Berlin sowie das Bonifatiuswerk der
Deutschen Katholiken. Für 20 Prozent der Baukosten
muß die Gemeinde selbst aufkommen. Doch das macht
den 750 Anklamer Katholiken zu schaffen. Der Verkauf des
alten Pfarrhauses und des dazugehörigen
Grundstücks will nach Pfarrer Grützmachers
Informationen nicht recht klappen. Die Planungen hatten
vorgesehen, mit dem Erlös aus dem Verkauf den
geforderten Anteil zu finanzieren. Grützmacher sieht
die Gründe für den stagnierenden Verkauf zum
einen in einem fälligen Abriß des maroden
Gebäudes, zum anderen in der schlechten
Infrastruktur Anklams.
Die Industrie ist nach der Wende
zusammengebrochen, erklärt auch ein
Mitglied des Pfarrgemeinderates. Der Mann möchte
seinen Namen auch nach dreimaligem Nachfragen nicht
verraten. Vorpommersche Zurückhaltung? Oder Vorsicht
im Umgang mit der Presse? Eigentlich hätte er ja
nichts zu befürchten, zumal von der Katholischen
KirchenZeitung! Planen er und seine Mitstreiter doch, mit
Benefizkonzerten des Anklamer Knabenchores oder durch den
Erlös aus verschiedenen Basaren, einige Tausend Mark
für die Finanzierung des Gemeindezentrums
beizusteuern. An Initiativen und Überlegungen, an
Ideen und Phantasie mangelt es den Anklamer Katholiken
also nicht.
Der Gemeinde bleibt zu wünschen, daß das
Zentrum nach Fertigstellung mit Leben gefüllt werden
kann und die verschiedenen Gruppen und Kreise hier ein
neues, modernes Zuhause finden.
Thomas Steierhoffer
Nr. 38/98 vom 20. September 1998
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