Problembewußtsein für den Sport von Menschen mit Behinderungen gesteigert. Mit seinen vielschichtigen Aspekten beschäftigte sich Ende März eine Tagung des Arbeitskreises Kirche und Sport in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Behinderten-Sportverband in Berlin. An der Veranstaltung im behindertengerecht gebauten Sport- und Freizeitzentrum des SC Siemensstadt nahmen auch behinderte Spitzenathleten teil, darunter die siebenfache Leichtathletik-Weltmeisterin Marianne Buggenhagen und der auch vom Berlin-Marathon bekannte Rollstuhl- Schnellfahrer Reiner Pilz. Vom Kriegsversehrtensport der frühen fünfziger Jahre bis zum heutigen Hochleistungssport reicht die Entwicklung des Behindertensports in Deutschland. Dabei müsse jeder Behinderte selbst entscheiden, in welcher Weise er aktiv sein wolle, betonte der Ehrenpräsident des Deutschen Sportverbandes (DBS), Heinz Haeb. Die Behinderten seien schließlich keine homogene Masse. Für die Rehabilitation spielt der Sport eine wichtige Rolle. Das betrifft aber nicht nur die Verbesserung geschädigter Körperfunktionen. Ebenso wichtig ist die Wiedergewinnung des Selbstbewußtseins durch vollbrachte Leistung. Marianne Buggenhagen sagt darüber: Für mich war der Sport ein ganz wichtiger Bestandteil meiner Rückkehr ins Leben. Ich war glücklich, mich selbst zu entdecken. Darüber hinaus sieht der DBS auch einen sozialen Auftrag der ihm angegliederten 3.000 Behindertensportgemein- schaften. Durch Selbstbestimmung und Mitverantwortung im Verein wollen sie fitmachen für das Leben in der Gesellschaft, in der Behinderte einen festen und anerkannten Platz brauchen. Rund 300.000 Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionsbeeinträchtigung sind im DBS zusammengeschlossen. Die Freude am Sport motiviert die Mehrzahl der im Breitensport Aktiven. 10.000 Behinderte betreiben Wettkampfsport. Bei den rund 500 Spitzensportlern, die zu internationalen Wettkämpfen entsandt werden, steht das Erreichen einer sportlichen Höchstleisung im Vordergrund. Ihre erstaunlichen Leistungen haben sie ohne Dopingmittel erreicht, erklärte der Chef der Mission der deutschen Paralympics-Équipe in Nagano, Karl Quade. Ein noch nicht befriedigend gelöstes Problem stelle die Klassifizierung der Athleten in den verschiedenen "Schadensklassen dar. Dabei sei schon die Bezeichnung Schadensklasse ein ethisches Unwort, das an einen Versicherungsschaden denken lasse. Keine größeren Probleme als bei nichtbehinderten Sportlern habe es dagegen bei Verletzungen gegeben. Auf die innovative Rolle des Behindertensports bei der Entwicklung verbesserter Prothesen und Rollstühle, wies Aktivensprecher Gunther Nelitz hin. Er berichtete auch von einer interessanten Entwicklung im norwegischen Sport. Dort wurde der Behindertensportverband 1996 aufgelöst. Seine Aufgaben wurden flächendeckend in die allgemeinen Sportvereine integriert. Möglicherweise ein wegweisendes Modell auch für Deutschland? Bis dahin wird es auf jeden Fall ein langer Weg sein. Das machte auch der Redebeitrag des evangelischen Probstes Karl-Heinrich Lütcke deutlich. Er forderte mehr Veranstaltungen, bei denen behinderte und nichtbehinderte Sportler gemeinsam starten, wenn auch mit getrennter Wertung. Grundsätzlich gebe es beim Behindertensport die gleichen ethischen Fragen wie auch sonst beim Sport, meinte Lütcke. Allerdings dürften behinderte Spitzensportler über dem Stolz auf die eigene Leistung nicht den Blick für die noch schwerer Behinderten verlieren. Der Sport dürfe nicht verselbständigt und die Sportler nicht instrumentalisiert werden, fügte EKD-Sportpfarrer Klaus-Peter Weinhold hinzu.
Reiner Cimbollek
(Ausgabe Nr. 15 / 12.4.98)
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