Bauliches Kleinod
und Zufluchtstätte
Die
Herz-Jesu-Kirche am Prenzlauer Berg wird 100 Jahre
alt
Berlin - Das was Kreuzberg für den Westen
Berlins ist, scheint - zumindest nach der
Wende - der
Prenzlberg im Osten zu sein: Heimat
eines bunten Völkchens aus
Künstlern und Kulturschaffenden, Studenten,
sogenannten Alternativen, aber auch Menschen am Rande der
Gesellschaft, Ausländer, Sozialhilfeempfänger,
Obdachlose. Der Bezirk Prenzlauer Berg war immer schon,
seit dem Fall der nördlichen Akzisemauer der Stadt
Berlin 1867 und der Industrialisierung Zuzugsgebiet
für Menschen aus allen Teilen Deutschlands, die in
Berlin Arbeit und ihr Glück suchten. Vor dem
Oranienburger Tor errichtete August Borsig seine erste
Maschinenbauanstalt und Eisengießerei, wo
später dann Dampfmaschinen und Lokomotiven gebaut
wurden. Tausende Arbeiterfamilien ließen sich in der
Umgebung nieder, darunter zahlreiche Katholiken aus
Schlesien, Westfalen, aus den preußischen Gebieten
Polens, aus dem Rheinland und dem Eichsfeld. Die St.
Hedwigs-Gemeinde mußte für die im
nördlichen Bereich der Pfarrei wohnenden Katholiken
ein ehemaliges Vergnügungslokal, die
Roloffsburg, kaufen und als
Gottesdienststätte einrichten. Doch das war nur ein
Provisorium. 1892 entstand die selbständige Pfarrei
Herz Jesu. Die Zahl der Katholiken stieg rapide an. Um
die Jahrhundertwende betrug sie in diesem Gebiet bereits
27.000. Es war dringend notwendig, für sie eine
entsprechend große Kirche zu bauen. Die Zeit des
Kulturkampfs war vorbei, die
Katholiken in der Stadt zeigten wieder
Selbstbewußtsein. Als treibende Kraft beim Bau der
Herz-Jesu-Kirche engagierte sich Elisabeth von Savigny
die als Ordensschwester in das Kloster der
Herz-Jesu-Schwestern eingetreten war. Sie gab eine
großherzige Spende und so konnte am 25. Juni 1897
der Grundstein in der Fehrbelliner Straße gelegt
werden.
Als Baumeister hatte man den damals führenden
Architekten und Professor an der
Königlich-Technischen Hochschule in Charlottenburg,
Professor Christoph Hehl, gewinnen. Hehl, der danach eine
weitere Reihe katholischer Kirchen in Berlin, so in
Steglitz, Spandau, Lichterfelde, Lankwitz und
Wilmersdorf, erbaute, war Liebhaber des
neoromanisch-neobyzantinischen Stiles. Er suchte vor
allem Vorbilder bei spätantiken Basiliken in
Italien. So wurde die Herz-Jesu-Kirche am Prenzlauer Berg
ein bauliches Kleinod, ein Meisterwerk, das
seinesgleichen sucht.
Vor genau 100 Jahren, am 25. Oktober 1898, wurde das
Gotteshaus geweiht. Die Konsekration durch den Breslauer
Fürstbischof Adolf Kardinal Bertram erfolgte
allerdings erst 1917, als ein Großteil der
Innenausmalung abgeschlossen war.
Diese Wandmalereien im Nazarenerstil
sind eine besondere Kostbarkeit der Kirche bis heute. Sie
stammen von dem Kirchenmaler Friedrich Stummel und seinem
Schüler Karl Wenzel, die übrigens auch die
Ausmalung der Rosenkranzbasilika in Steglitz
übernahmen. Das beherrschende Motiv im Halbrund der
Apsis ist Christus, die mensch-gewordene Liebe Gottes mit
aus-gebreiteten Armen: Kommet alle zu mir, die
ihr mühselig und beladen seid...
Eindrucksvoll aber auch die Kuppelbemalung mit der
Anbetung des Lammes Gottes (aus der Geheimen
Offenbarung).
Die Wandmalereien sollen - ebenso wie die alte Orgel - im
Jubiläumsjahr restauriert werden. Dafür hat die
Gemeinde bereits über 250.000 Mark an Spenden und
Kollekten aufgebracht.
Die Gemeinde ist stolz auf ihr schönes Gotteshaus.
Umgekehrt kann die Kirche aber auch auf sie als die
lebendigen Steine stolz sein. Es ist
eine junge, wachsende Gemeinde. Sonntags sind etwa 200
bis 250 Gläubige zum Gottesdienst versammelt - bei
einer Gesamtzahl von 2700 Gemeinde-mitgliedern und
für die Diaspora-situation eine erstaunliche Zahl.
150 sind in Vereinigungen, Gruppen und Initiativen
engagiert, so z.B. in der Kolpingsfamilie, im Chor, in
Jugend- und Kinderschola, im Kreis junger Erwachsener und
im Seniorenkreis, in der Mütter-Kind-Gruppe oder als
Helfer in der Notübernachtung für
Obdachlose.
Sozial engagiert war die Gemeinde in ihrer Geschichte
immer schon. Herz Jesu war in der Nazi-Zeit - in den
Jahren des Zweiten Weltkriegs - eine Zu-fluchtstätte
für Juden, jüdische Kon-vertiten und andere
Verfolgte des Regimes. Bischof Konrad Graf von Preysing,
sein Dompropst Bernhard Lichtenberg und die engagierte
Dr. Margarete Sommer hatten hier das Hilfswerk
beim Bischöflichen Ordi-nariat
angesiedelt, das Tausenden von Menschen - bis zum
Kriegsende ca. 3.000 Verfolgten - , helfen konnte, mit
Rat und Hilfe bei der Flucht ins Ausland, ab 1944 auch
mit Verstecken von Menschen, um sie vor den Zugriffen der
Gestapo zu bewahren. Bis in die letzten Kriegstage hinein
(siehe: Bericht auf dieser Seite) war die
Herz-Jesu-Pfarrei Zufluchtsort.
Nach dem Krieg blieb die Pfarrei ein Ort des Engagements
vieler treuer Ka-tholiken. Das Bischöfliche
Hilfswerk Not in der Welt, nach der
Wende mit MISEREOR vereint, hat hier
ebenso seinen Sitz, wie der Verein KALEB zur Hilfe
für Mütter in Abtreibungskon-flikten.
Kindertagesstätte, früher die St.
Theresienschule, seit ein paar Jahren die geistliche
Gemeinschaft Chemin Neuf (der
Neue Weg) ergänzen die
Akti-vitäten dieser Gemeinde in dem
100-jährigen Gotteshaus.
Der Festgottesdienst mit Kardinal Sterzinsky ist am 25.
Oktober um 11 Uhr.
Georg von Glowczewski
Nr. 43/98 vom 25. Oktober 1998
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