Kirche macht Spaß
Einmal im Monat platzt die Kirche Maria Frieden in
Berlin-Mariendorf fast aus den Nähten. Dann feiern
hier Jugendliche aus ganz Berlin und dem Umland mit
Kaplan Mathias Laminski eine Messe. Gestaltet wird sie
immer jugendgemäß und frisch.
Wer pünktlich kommt, muß stehen. Bereits zehn
Minuten vor Beginn sind alle Bänke voll. Nach den
ersten Takten Musik tanzen hier und da die Ersten.
Fingerschnippsen, Händeklatschen, herzliche
Begrüßungen... Das ist eine
Berliner Messe im Jahre 1998? Und ob! Bei der
Jugendmesse jeden ersten Sonntag im Monat ist die Kirche
um 18.30 rappelvoll. Überwiegend
Jugendliche aus ganz Berlin - aber auch Ältere -
treffen sich hier zu einer Messe der
anderen Art. Schon am Eingang vernimmt der
Kirchgänger poppige Klänge. Vier junge Frauen
wiegen sich im Takt und singen wohltönend in ihre
Mikrophone. Satte Baß- und Gitarrentöne treiben
die Musik an. Kaplan Mathias Laminski und seine
Mitzelebranten steigen nahtlos in die Messe ein. Das
Kyrie wird ebenfalls in poppiger Manier gesungen. Vorne
rechts sind Schwesterntrachten und unbekannte Gesichter
zu sehen. Aha, es sind diesmal Gäste da: Eine
Gruppe von Brasilianern, die dort mit
drogensüchtigen Jugendlichen arbeitet. Kaplan
Laminski bleibt zwar bewußt bei der traditionellen
Liturgieform, sucht aber normalerweise moderne Texte
dazu aus. Heute sollten eigentlich die
Brasilianer Texte in ihrer Muttersprache lesen, aber die
Gruppe kam erst kurz vor Schluß, alles ging etwas
drunter und drüber. Und so greift man am Ende doch
auf die traditionelle Variante zurück. Eine
merkwürdige Mischung aus
klassischer feierlicher Messe samt Ministranten und
poppig-lärmiger Musik kommt so zustande, die aber
niemanden zu stören scheint. Statt Predigt
erzählt der deutsche Franziskanerpater Hans Stapel
von seinen Anfängen in Brasilien vor 26 Jahren:
Ich habe mich vorher lange gefragt, was ich den
Leuten dort geben kann. Nach kurzer Zeit habe ich aber
feststellen müssen, daß der einzige der
Gemeinde, der sich bekehren mußte, ich war. Man
muß dort nicht missionieren, sondern einfach mit den
Leuten leben. In Brasilien gelten andere
Regeln, besonders in den Elendsvierteln. Neben vielen
anderen Problemen ist die Drogensucht dort sehr
verbreitet. Ein junger Brasilianer berichtet, wie er mit
Pater Hans und anderen ein Netzwerk von Bauernhöfen
im ganzen Land aufgebaut hat, wo drogensüchtige
Jugendliche
arbeiten und leben. In spiritueller Gemeinschaft leben
dort 500 Jugendliche. Auch Ausländer versuchen dort
mittlerweile, von ihrer Drogensucht loszukommen. Thomas
aus München ist einer von ihnen. Obwohl schon fast
eine halbe Stunde vergangen ist, hören auch ihm alle
interessiert zu. Und noch etwas, das Neugier weckt: ein
ähnliches Projekt entsteht derzeit in der Nähe
von Nauen. Der Zivildienstleistende dafür ist schon
gefunden und bekommt unter großem Gelächter
vorsorglich schon mal ein Paar Gummistiefel
geschenkt.
In der Eucharistie schließlich bestätigt sich
der erste Eindruck der Jugendmesse. Hat jemand solche
Herzenswärme bei den Jugendlichen der neunziger
Jahre vermutet? Beim Vaterunser fassen sich alle bei
den Händen, offene Gesichter lachen sich an,
liebevolle Friedenswünsche. Nach dem Segen ist
noch immer nicht Schluß. Vor lauter Spielfreude
singt die Band, die pilgrims
(Pilger) aus Sachsen-Anhalt, ein Lied
nach dem anderen. Derweil gehen die einen nach Hause,
andere schwatzen und albern in Grüppchen oder
kommen mit den Gästen ins Gespräch. Kaplan
Laminski scheint überall gleichzeitig zu sein und
erst langsam verlagert sich der Trubel in die
Jugendräume zum Plaudern im Café.
17 oder 18 Kinder- und Jugendgruppen gibt es in der
Gemeinde, genau weiß es Laminski selbst nicht.
Jugendarbeit war schon immer eine Stärke der
Gemeinde. Doch die Berliner Gemeindelandschaft hat sich
verändert. Maria Frieden muß ein
Zentrum für Jugendliche werden , findet
der junge Kaplan, und zwar für ganz Berlin.
Jugendmessen sind rar, außer dieser gibt es nur noch
die Stadtjugendmesse in der Hedwigskathedrale. Aus einer
Fußwallfahrt nach
Santiago de Compostella im Sommer 1996 entwickelte sich
die Idee einer dekanatsweiten Jugendmesse. Die Gemeinde
und selbst Kardinal Sterzinsky stehen hinter der Idee,
schließlich spricht der Ansturm für sich.
Zur
normalen Messe gehen nur ganz wenige dieser
Jugendlichen, muß Laminski feststellen. In
der Jugendmesse schafft er es offensichtlich, sie in
ihrer Sprache anzureden. Trotzdem sorgt sich Laminski
um die Zukunft der Jugendmesse: Ab Sommer wird er
Diözesanjugendseelsorger. Wie es aussieht, wird die
Kaplanstelle in Maria Frieden nicht wiederbesetzt. Zwar
ist Mathias Laminski bereit, die Jugendmessen noch eine
Weile weiterzuführen. Aber die
Vorbereitung ist jedesmal sehr zeitaufwendig: Gemeinden
müssen informiert werden, die Finanzierung muß
gesichert sein, vor allem für die Bands, die
teilweise von auswärts kommen. Inhaltlich bereitet
Laminski die Messen mit
einer Gruppe von zehn Jugendlichen vor. Die
Jugendlichen sind sehr offen und sensibel für all
diese Themen, die wollen wirklich was haben
hier, schwärmt Laminski. Ein Erlebnis ist
ihm besonders nahegegangen: Wir waren Silvester
mit einer Gruppe in Prag. Abends saßen wir in einer
irischen Kneipe, um uns herum Feiern und Disco, und
plötzlich kommt einer nach dem anderen zu mir und
will beichten. Und später auf der Karlsbrücke
kamen gleich nochmal welche.
Elena A. Griepentrog
(Ausgabe Nr. 10 / 8.3.98)
Bildzeile:
Der zukünftige Zivi Sebastian ist schon gut
ausgerüstet:
Der Kreuzberger Pfarrer Georg Schlütter versorgt ihn
mit Gummistiefeln.
Foto: Max Mirschel
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