Kirche ist Wegbegleiterin
Über meine Hoffnung für die Kirche in der
Welt von heute
Liebe Besucherinnen und Besucher des 93. Deutschen
Katholikentages, liebe Leserinnen und Leser!
Ganz herzlich grüße ich Sie, die Sie zum 93.
Deutschen Katholikentag nach Mainz gekommen sind, aber
auch Sie alle, die in Gedanken und Gebeten diese Tage
begleiten.
Mainz ist der Ort, von dem die Katholikentage ihren
Ausgang genommen haben.Vor 150 Jahren traten katholische
Laien und Priester gemeinsam für die Freiheit der
Kirche von staatlicher Abhängigkeit ein.. Freilich
kann die Situation von damals nicht ohne weiteres mit der
heutigen verglichen werden. Die Frage aber, die so alt
ist wie die Kirche selbst und seit 1848 eine besondere
Prägung bekommen hat, bleibt; Wie gestaltet sich das
Spannungs- und Wechselverhältnisse von Kirche und
Welt?
Folgende Antwort darauf findet sich in den Texten des II.
Vatikanischen Konzils. So geht denn diese
Kirche, zugleich sichtbare Versammlung und geistliche
Gemeinschaft den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam
und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der
Welt und ist gewissermaßen der Sauerteig und die
Seele der in Christus zu erneuernd und in die Familie
Gottes umzugestalten menschlichen Gesellschaft
(Pastoralkonstitution über Die Kirche in
der Welt von heute, Nr. 40,2).
Hier wird das Bild einer Weggemeinschaft von Kirche und
Welt, von Kirche und Gesellschaft gezeigt. Kirche darf
sich nicht als isoliert von der Welt verstehen; sie ist
vielmehr unverzichtbare Wegbegleiterin. Kirche und Welt
gehen nicht stumm nebeneinander her, sondern tauschen
sich aus über ihr Verhältnis, reden über
das Woher und Wohin, über die Bedingungen des Weges
...
Wer denkt bei dem Bild von der Weggemeinschaft nicht an
die Emmausjünger aus dem Lukasevangelium und ihren
Weg mit dem Auferstandenen? Da gab es - so Lukas - das
Miteinander-Sprechen, das Gedanken-Austausch, das
Nicht-Erkennen, trauriges Stehenbleiben, Erschließen
der Schrift, das Brennen der Herzen ... und am Ende das
gemeinsame Mahl. Wie segensreich wäre es, wenn die
Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit die Rolle es
Auferstandenen, unsere Gesellschaft die Rolle der beiden
Wanderern einnehmen könnte! Das hieße aber
auch; Erst beim ewigen Gastmahl würde Kirche von
ihren Weggefährten wirklich erkannt werden.Vorher
aber muß sie immer bei den-Menschen bleiben,
daß ihnen das Herz brennt; sie muß auf ihrem
irdischen Weg Sauerteig und Seele der Gesellschaft
bleiben: nur so kann sie ihren Beitrag dazu leisten, die
Gesellschaft nach dem Bild der Familie Gottes
umzugestalten.Wie kann das ihr, der heute so vielfach
Gescholtenen, gelingen? Durch Aufrufe zu neuen
Kraftanstrengungen? Durch immer neue Analysen und
Problemanzeigen? Durch Einsatzbereitschaft einzelner? Das
alles mag wichtig sein. Entscheidend aber ist das
Vertrauen auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Der
Geist Gottes wirkt ja nicht in der Weise, daß er
kommt, etwas bewirkt, das fertige Werk
zurückläßt und wieder geht. Vielmehr ist
der Geist Gottes nicht nur einmal gekommen, sondern immer
am Kommen. Wer darauf vertraut, darf hoffen, daß die
Kirche ihrer Aufgabe gegenüber der Welt, Sauerteig
zu sein, gerecht wird.Mein Wunsch ist, daß der
Katholikentag die Weggerneinschaft von Kirche und
Gesellschaft neu bewußt macht, daß hier
wirklich Austausch von Gedanken, erschließen der
Schrift, Brennen der Herzen zu erleben sind. Ich hoffe,
daß unsere Kirche sich hier stärkt und
vergewissert für die Weggemeinschaft mit der Welt
von heute, und daß diese Tage selbst zu einem
gemeinsamen Wegstück werden.
+ Georg Cardinal Sterzinsky
Aus der Katholischen KirchenZeitung
Nr. 23/98 vom 7. Juni 1998
|