ökumeniche Jury ihre Entscheidung. Besonders beeindruckt zeigte sie sich auch von dem nicaraguanischen Kurzfilm, CINEMA ALCAZAR von Florence Jaugey, der als Vorfilm zu CENTRAL DO BRASIL lief, und zeichnete ihn mit einem Spezialpreis aus. Der nur 10-minütige Dokumentarfilm zeigt ein Kino, das für viele Menschen zum Zufluchtsort nach einem Erdbeben wurde. Die Leute erzählen, daß es sich um ein Kino handelt, berichtet Rosa, aber sie hat Zweifel: Sie lebt schon seit Jahren in diesem Raum ohne jedes Tageslicht und hat noch keinen einzigen Film gesehen. Aus der Begründung der Jury: Ein verlassenes Kino (...) wird zum Symbol für die Verlassenheit des nicaraguanischen Volkes. Der Film, der mit geringsten Mitteln realisiert wurde, zeugt davon, wie das Leben selbst unter schwierigsten Bedingungen weitergeht. Die ökumenische Jury beschränkt sich nicht auf den Wettbewerb. Zwei mit jeweils 5.000 Mark dotierten Hauptpreise wurden an einen Film aus dem Panorama und an einen aus dem Internationalen Forum des jungen Films vergeben. Aus dem 13. Internationalen Panorama ging der Hauptpreis an die US-amerikanische Produktion SUE von Amos Kollek für sein eindrucksvolles Porträt einer arbeitslosen New Yorkerin, die sich zunehmend von ihrer Umwelt entfremdet und schließlich an ihrer Einsamkeit zugrunde geht. Der Film schildert ohne melodramatische Effekthascherei die verzweifelte Suche nach Liebe und Nähe in einer Gesellschaft der Vereinzelung, so die Begründung. Ich kenne solche Menschen, die sehr viel Liebe brauchen, ergänzt Angelika Obert, die diesjährige Jury-Präsidentin, ich weiß aber auch, wie schwierig solche Menschen sind. Sue ist nicht verrückt, sie ist nur ein kleines bißchen labiler als andere und ein bißchen trauriger. Der Verlust ihres Arbeitsplatzes, zieht ihr förmlich den Boden weg unter den Füßen. Ihre Reaktionen werden immer hektischer und verzweifelter: sie sucht Halt rutscht aber immer mehr ab und kann sich nicht mehr fangen. Am schwersten fiel die Entscheidung für einen Forumfilm, wie Angelika Obert gesteht. In die engere Wahl waren mehrere interessante Dokumentarfilme gekommen. Schließlich konnte man sich aber einigen auf WANG HSIANG. (Homesick Eyes) von Hsu Hsiao-ming. Der Hintergrund für diese Dokumentation ist die Entscheidung der taiwanesichen Regierung von 1993, den heimischen Arbeitsmarkt für Ausländer zu öffnen, was zu einem Zustrom von Arbeitern vor allem aus Thailand und von den Philippinen führt. Hsu Hsiao- ming hat vier dieser Gastarbeiter ausgewählt und begleitet sie durch ihren Alltag: Ein junger Mann, der aus Liebe seiner Verlobten gefolgt ist, muß so hart arbeiten, daß sie sich doch nicht sehen können. Ein Familienvater hat seine Familie in Thailand verlassen, um seinen Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Eine junge Frau muß ihren Traum, in Taiwan reich zu werden, aufgeben und wünscht sich nichts sehnlicher, als nach Hause zurückzukehren. Der Film gibt dem Problem der ökonomischen Migration Gesichter, urteilt die Jury: Wir begegnen Menschen (und) werden Zeugen ihrer Einsamkeit und ihrer Sehnsucht nach Zuhause. Es wird aber auch deutlich, aus welchen Quellen ihr Lebensmut kommt. Denn auch dem spürt der Regisseur nach, dem wirklich sehr kleinen Glück, wie Frau Obert es nennt, das die Menschen am Leben erhält. Es ist neben der filmischen Qualität des Films sicherlich kein Zufall, daß sich eine Jury in Berlin mit seinen vielen Baustellen und den vielen dort beschäftigten ausländischen Arbeitern ausgerechnet für diesen Film entschied. Bis zuletzt war die Jury mit den Entscheidungen und der Formulierung der Begründung beschäftigt, kaum einer, der das Gähnen unterdrücken konnte, denn die Jury hatte eineinhalb anstrengende Wochen hinter sich. Jeden Morgen um acht Uhr - nach dem Frühstück! - traf man sich zur Besprechung, um dann anschließend in die ersten Vorführungen zu gehen, die letzten liefen ab 23.30 Uhr. Trotz aller Erschöpfung ist Angelika Oberts Urteil positiv: Es hat wieder Spaß gemacht! Auch diese Juryentscheidung fiel einstimmig.
Stefan Förner
(Ausgabe Nr. 9 / 1.3.98)
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