Die Katastrophe - ein Jahr danach 

Eine positive Bilanz und einige ökumenische Irritationen am Rande 
 
Wriezen/Berlin (gg.) - In diesen Tagen erinnern sich viele Menschen in Brandenburg an die dramatischen Tage des Jahrhunderthochwassers an der Oder Ende Juli / Anfang August 1997. Die Katastrophe begann in Tschechien und Polen. Dort waren auch die schlimmsten Schäden, unter denen die Bevölkerung zum Teil bis heute leidet: 56 Tote waren zu beklagen. Der materielle Schaden lag bei fünf Milliarden Mark. In Polen wurden allein über 1.300 Ortschaften überflutet. Die Caritas bilanzierte ein Jahr später: Von den rund 17 Millionen Mark für die Hochwasser-Opfer seien 90 Prozent für Hilfsprogramme in Polen und Tschechien verwandt worden. In den polnischen Woj-wodschaften Breslau und Oppeln konnten nach einem Bericht des Deutschen Roten Kreuzes über 2.400 Haushaltungen wieder bewohnbar gemacht werden . In Tschechien wurden bislang 68 Häuser und 531 Wohnungen fertiggestellt. Eine positive Bilanz!
In Deutschland setzte die Flutwelle am 19. Juli ein. Am 23. Juli brach der erste Deich bei Brieskow-Finkenheerd. Die Oder überschwemmte die Ziltendorfer Niederung. Ende Juli erreichte die Flutwelle das Gebiet nördlich Frankfurts. Die Chance, daß der Deich bei Hohenwutzen hält, stand bei fünf Prozent. Dieser Deich aber war für das 50.000 Hektar umfassende Gebiet des Oderbruchs „lebensnotwendig“. Schon mußten 5.200 Menschen ihre Häuser verlassen und evakuiert werden. Es begann ein unbeschreiblicher „Kampf gegen die Oderfluten“ mit einem großartigen Einsatz von Menschen - etwa 50.000 waren es, davon 30.000 Bundeswehr-Soldaten. Zum Zeitpunkt der größten Bedrohung verteidigten bis zu 15.000 Soldaten gleichzeitig die Oderdämme. Und das Wunder geschah. Ein General meinte vor den Fernsehkameras: „Der Herrgott regiert mit an diesem Damm - das sollen wir nicht vergessen!“. Und eine Frau aus dem Oderbruch:„Gott hat auch seine Meinung von den Menschen hier!“ Viele hatten das Beten wieder erlernt. Ein unwahrscheinliches Solidaritätsgefühl hatte alle erfaßt, aber auch ein Gefühl der Dankbarkeit und Hochachtung gegenüber der Bundeswehr. 
Ein Jahr später: Zum Jahrestag am 25. Juli wurde in der Ernst-Thälmann-Siedlung in Ziltendorf eine „Dankeschön-Veranstaltung“ durchgeführt, mit viel politischer Präsenz, von Bundeskanzler Kohl über Ministerpräsident Stolpe bis zum Generalleutnant von Kirchbach. Ein Gedenkstein wurde eingeweiht, es gab viele Danksagungen und einen Rundgang der Politiker. Im Programm stand auch ein „ökumenischer Gottesdienst“. Doch der fand ohne Absprache mit den katholischen Gemeinden vor Ort und der katholischen Militärseelsorge statt. Militärdekan Heinrich Hecker zur KirchenZeitung: „Ich habe keine Einladung dazu erhalten“. 
Am 15. August soll in Neu-ranft bei Wriezen im Oderbruch eine weitere Gedenkveranstaltung stattfinden, mit der Einweihung eines Gedenksteins „Flutzeichen“. Auch hier sollte ein ökumenischer Gottesdienst, auf Wunsch hoher Bundeswehr-Generale natürlich auch mit katholischer Beteiligung, vorangehen. Am gleichen Tag wird nämlich in Wriezen die Bundeswehr-Gelöbnisfeier abgehalten.
Der für das Militär zuständige evangelische Superintendent Werner Krätschell wollte aber keine „massive katholische Präsenz“ bei diesem Gottesdienst. Katholiken dürften vielleicht eine Lesung vortragen, ansonsten aber bleibe die Gestaltung fest in evangelischer Hand. Verärgert reagierten die katholischen Zivil- und Militärgeistlichen auf diesen „unhöflichen Akt“ . Pfarrer Karl-Heinz Hauptmann zur KirchenZeitung: „Die Bedingungen der evangelischen Seite sind völlig unakzeptabel und unverständlich. Zumal wir hier vor Ort eigentlich ein gutes ökumenisches Verhältnis haben.Wir werden nun unseren eigenen Gottesdienst am 15. August um 10 Uhr in unserer St. Laurentius-Kirche feiern und dazu alle interessierten Bundeswehrangehörigen einladen.“ Krätschell selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Er sei noch in Urlaub, hieß es. 
Die katholische Gemeinde St. Laurentius in Wriezen plant , zusammen mit der Nachbargemeinde Mariä Himmelfahrt in Schwedt eine „Dankwallfahrt“ am 5. September auf die polnische Oderseite - nach Sikierki, dem neuen Wallfahrtsort Maria Friedenskönigin, nur fünf Kilometer vom Grenzübergang Hohenwutzen entfernt. Um 11 Uhr soll dort in der Wallfahrtskirche der Redemptoristen ein festliches Hochamt als Dankgottesdienst für die überstandene Hochwasser-Katastrophe gefeiert werden. 
 

Nr. 32/98 vom 9. August 1998