Kirche vor
Ort
Kreuzbergerinnen
helfen mit Second-Hand-Stand Bedürftigen im In- und
Ausland
Berlin - Ein Paar Schuhe für zwei Mark,
eine Bluse für fünf, ein Mantel für 15
Mark. Vor der Kirche St. Bonifatius in Berlin-Kreuzberg
stapeln sich liebevoll aufgebaut Kleidungsstücke.
Und fast genauso stapeln sich auch die Kunden. Seit fast
zwei Jahren veranstalten drei Damen aus der Gemeinde im
Schnitt alle sechs Wochen einen Second- Hand-Verkauf von
Kleidung. Die so einfache wie erfolgreiche Idee entstand
vor einem Gemeindefest, zu dem jeder etwas beitragen
sollte. Christa Scheinemann, Stephanie Burkhardt und
Christina Seipelt sammelten in der Gemeinde ausrangierte
Kleidungsstücke und verkauften sie. Der Erlös
geht an soziale Projekte, die die Gemeinde
unterstützt. Zur Zeit sind das Kinder, die in der
Moskauer Metro leben müssen und ein Altenheim in
Brasilien. Deshalb haben die drei Damen auch nicht das
Gefühl, daß sie das Haus des Vaters
zu einer Räuberhöhle machen, im
Gegenteil: Wir haben Augen und Ohren für
die Not, das gehört auch zum Glauben, sagt
Christina Seipelt.
Viele Arme aus der Gegend kommen, aber auch
Künstler, Normalbürger und
Jugendliche. Eine wilde Mischung. Zwischen den Blusen
hindurch schauen viele in den Innenraum der Kirche
hinein. Und sind oft erstaunt, daß die
Kirche noch in Betrieb ist. Oft entwickelten
sich dann Gespräche, erzählen die drei.
Viele würden gern die Kirche als Raum der
Stille nutzen, sagt Christina Seipelt.
Leider geht das nicht, weil wir die Kirche
nicht beaufsichtigen können. Aber die Leute merken,
daß hier Gemeindeleben stattfindet. Die Kirche ist
durch diesen Stand viel präsenter in der Umgebung
geworden.
Groß ist auch die Bereitschaft zu helfen, Kleidung
zu spenden oder Geld. So sehr, daß die Damen schon
daran denken, den Verkaufsstand öfter einzurichten.
12000 Mark haben sie bisher verdient. Hart erarbeitet,
denn das Aufbauen der Kleidung ist sehr zeitaufwendig.
Aber es macht ihnen Spaß. Die drei lachen viel,
untereinander, aber auch mit den Kunden:
Neulich war eine junge Frau ganz
glücklich, endlich eine originale Bluse aus den
sechziger Jahren zu finden, erzählt
Christa Scheinemann. Eine knall-lila
Rüschenbluse, die zieht sie zu einem gelben Rock an
und wollte so dann auf die Love Parade gehen.
Sieht doch schön schrill aus,
oder?, hat sie gesagt.
Und manchmal gibt es sogar etwas umsonst:
Gestern war ein Mann hier, wohl ein
Äthiopier, schmunzelt Christa Scheinemann.
Er war sehr arm angezogen und hatte
überhaupt kein Geld. Aber er wollte gern einen Anzug
anprobieren. Und er sah so glücklich darin aus,
daß wir ihm den Anzug einfach geschenkt haben. Er
fühlte sich wie ein König und ging ganz stolz
und strahlend weg.
Der nächste Second-Hand Markt findet statt am 22.
August von 10-17 Uhr vor der Kirche St. Bonifatius,
Yorckstraße 88c, Berlin-Kreuzberg.
Elena A. Griepentrog
Nr. 30/98 vom 21. Juli 1998
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