Katholisches Zentrum wächst in Berlin

Deutsche Bischofskonferenz und Katholische Akademie in Berlin wachsen zusammen

Berlin - Ausnahmsweise ruhen die Bagger und Raupen auf der Baustelle, denn heute ist Sonntag und zudem noch Muttertag. Der Tag des Herrn wird hier respektiert als Ruhetag, anders als auf sonstigen aktuellen Bauprojekten in Berlin. Der Wachdienst macht mir auf, die Baustelle ist dicht verschlossen und vor Eindringlingen geschützt. Er regt sich auf, daß er nicht mal am Muttertag seine Ruhe hat und alle Welt meint, heute arbeiten zu müssen. Eine nur wenig herzerfrischende Berliner Schnauze auf einem Gelände, wo demnächst das katholische Zentrum Berlins entsteht. Eigenartig mutet die Atmosphäre an, die Geräusche der sonntäglich verstummten Kompressoren und Bohrhämmer habe ich noch im Ohr ebenso wie die Stimmen der bedauernswerten Mitarbeiter der Katholischen Akademie. „Im Moment machen die Bauarbeiter gerade Frühstückspause - nachher ist der Baulärm wieder nicht auszuhalten,“ sagt Frau Thometzek, Chefsekretärin der Leiterin der Katholischen Akademie, Frau Dr. Susanna Schmidt. Und: „Wir erleben hier tolle Zeiten, aber das kann man halt nicht ändern, da muß man mit leben. Irgendwann geht es ja mal vorbei...“ Auch Frau Ahlberg ist froh, wenn der Baulärm zu Ende ist. „Das nervt schon, vor allem, wenn Leute von außerhalb zu Besuch kommen - die weisen uns dann jedesmal darauf hin und fragen: wie haltet ihr das nur aus?!“ Die Mitarbeiter der Katholischen Akademie leiden bereits seit drei Jahren unter oft unaushaltbarem Baulärm, verhältnismäßig lange Zeit für eine Baustelle. Beauftragt sind 75 Firmen mit 400 bis 500 Ausführenden, die manchmal gleichzeitig auf der Baustelle tätig sind. Damit werden von der Bauleitung hohe Anforderungen an die Koordination gestellt. Anfangs mußte eine Ramme gelegt werden, um das Grundstück wegen des schlechten Bodens zu befestigen. Pfähle wurden eingerammt, um dem Grundstück des ehemals katholischen Friedhofs Standfestigkeit zu verleihen. Das Landesdenkmalamt wünschte eine genaue Untersuchung der Baustelle und machte erhebliche archäologische Vorarbeiten notwendig, was ebenso geraume Zeit in Anspruch nahm. Und dann wurde mit großem Aufwand das durch die zuvor industrielle Nutzung teilweise mit Schadstoffen angereicherte Grundwasser und der entsprechend verseuchte Boden gereinigt.
Das „Katholiche Zentrum“ in der historischen Mitte Berlins liegt in der Nähe zu Unter den Linden, Friedrichstraße und neuem Regierungsviertel und grenzt an die denkmalgeschützten Friedhöfe der Dorotheenstädtischen und Französischen Gemeinde mit den Gräbern von Hegel, Fichte, Schinkel, Brecht und Persius. „Der Standort ist zugleich Programm.“ Und so entsprach es der Vision von Dr. Werner Remmers, die Katholische Akademie 1991 mitten ins Zentrum Berlins, „mitten ins Getriebe“, wie er sagt, zu legen, um den Menschen eine „Lebens- und Bildungshilfe“ zu geben. Von der Idee her stellt er sich eine ähnliche Funktion vor wie sie die Klöster auf dem flachen Land hatten, in Gegenden nämlich, wo es „am meisten zu kultivieren gibt“. Der ehemalige Leiter und Gründer der Katholischen Akademie, der weiterhin im Vorstand vertreten ist, hatte sein Herz und Blut hineingesteckt in die Konzeption des „Katholischen Zentrums“, in dessen Mitte eine Kirche als geistiges und spirituelles Zentrum stehen sollte. Dann bestimmte die Bistumsleitung die Erzbischöfliche Vermögensverwaltung GmBH zum neuen Zuständigen des Bauprojektes. Vorerst wurde die Idee der Kirche auf Eis gelegt. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, bei dem „Architekten teilnahmen, die nicht mal wissen, wie Kirche geschrieben wird“, sagte Werner Remmers nicht ohne Verbitterung. Seine Vision sieht er auch heute nicht im Ansatz verwirklicht, obwohl die Bischöfe später doch die Wichtigkeit einer eigenen Kirche auf dem Gelände einsahen und dafür Geld bereitstellten. „Das haben die Bischöfe dann kapiert, daß die Kapelle, die wir unter dem Dach im dritten Stock vorübergehend eingerichtet hatten, und die nur mit Hilfe von 27 Hinweisschildern überhaupt zu finden war, doch nicht ganz angemessen ist für ein katholisches Zentrum in Berlin,“ so Remmers. Die Kirche wurde also dann doch eingeschoben und wird in dem toten Winkel im Anschluß an die Friedhofsmauer entstehen.
„Das Bauvorhaben“, so Ernst-Heinrich Freiherr von Bernewitz, Geschäftsführer der Erzbischöflichen Vermögensverwaltungs GmbH und zuständig für die Planung und Erbauung des Gesamtobjekts Chausseestraße/Ecke Hannoversche Straße, „ist wesentlich bestimmt von den Anforderungen der Katholischen Akademie.“
Herr Georg Wichmann, Geschäftsführer der Katholischen Akadmie antwortet kurz und knapp auf die Frage, welchen persönlichen Entscheidungs- und Handelsspielraum er in Bezug auf die Baustelle hat, „gar keinen“ und verweist an Herrn von Bernewitz. Der wiederum erklärt, daß „die Inneneinrichtung der einzelnen Bereiche zur Zeit mit der Katholischen Akademie gemeinsam diskutiert und entschieden wird.“ So gibt es aus vier verschiedenen Mündern vier verschiedene Geschichten.
Die Architekten Höger und Hare sind verantwortlich für den Entwurf der Gebäude. Sie wollen, um den besonderen Charakter der Gebäude zu verdeutlichen, die Anlage nach Idee von Werner Remmers „an monastische Traditionen anknüpfen“ lassen und sie mit Höfen und Gärten als „Kloster in der Stadt“ konzipiert wissen. „Die gestalterische Idee ist es, durch das Zusammenspiel der Außenräume und der geschlossenen einfachen Baukörper eine ruhige, gelassene Atmosphäre zu schaffen.“
Konzipiert sind neben der Erweiterung der Katholischen Akademie, der Repräsentanz der Deutschen Bischofskonferenz und Büroflächen ein Tagungszentrum mit einem Auditorium (Kapazität 350 Sitzplätze mit modernster Kongreßtechnik ausgestattet und mit Möglichkeit zur Unterteilung in zwei getrennte Säle mit 220 und 90 Sitzplätzen), ein Gästehaus (nicht nur) für Seminarteilnehmer, eine Kirche mit Meditationsgarten, ein Restaurant im Erdgeschoß der Katholischen Akadmie sowie eine Tiefgarage mit rund 160 Parkplätzen. „Durch die Wahl matter, farbig gedämpfter, natürlicher Materialien wie Stein, Klinker und Holz sollen die Räume entstehen“, so Höger, „die zur Reflexion der existentiellen Fragen des Lebens einladen und für die verschiedenen Nutzungen, so auch der Seminare der Katholischen Akademie, geeignet sind. So befindet sich in jedem Gästezimmer des Bettenhauses eine Nische in der Fassade, die als Arbeitsplatz formuliert wird und, wiederum als Konsequenz daraus, für jedes Zimmer einen Balkon bereitstellt. Während der Arbeitscharakter der Zimmer ebenfalls von Höger in Anlehnung an die Klosterarchitektur gesehen wird, lockert er die Strenge andererseits durch eine Individualisierung der Zimmer wieder auf. Uneinheitliche Fensterhöhen und unterschiedliche moderne Kunstwerke zu religiösen Fragen geben jedem Zimmer eine persönliche Note. Als Gast ist jeder erwünscht und willkommen - weder wird das Gästehaus mit seinen 40 Zimmern sowie acht Appartements ausschließlich für katholische Gruppen freigehalten, noch sollen die Büroflächen (insgesamt 4.600 qm) nur an kirchliche Träger vermietet werden. Die Konzeption sieht ein Miteinander von säkularen und kirchlichen Nutzern vor. Dem Architekten ist dieses Projekt aus verschiedenen Gründen besonders ans Herz gewachsen. Herr Höger bezeichnet sich selbst nicht als gläubig im kirchlichen Sinne. Trotzdem hat er sich tief auseinandergesetzt speziell mit der Konzeption der Kirche. So stellte er sich die Aufgabe, einen Raum zu schaffen, in dem die Eintretenden in Verbindung kommen mit archaischen Kräften, die ein ursprüngliches religiöses Empfinden auslösen sollen. Die Betenden sollen sich in einen Zustand der spirituellen Offenheit versetzen mögen, die es ihnen ermöglicht, sich den existentiellen Fragen des Lebens zu stellen. Deshalb betrachtet Höger wie Remmers auch die Kirche als zentralen Ort, obwohl sie nachträglich in das bestehende Konzept eingefügt wurde. Ihre aus Stein und Kies massiv gemauerten Wände werden nach oben zunehmend in Glas aufgelöst, so daß im Innern ein nach oben immer lichter werdender Raum entsteht. Die Glasgroßplatten, worauf Höger stolz ist, kann in Deutschland bisher nur eine Firma herstellen. Sie bilden das Dach und geben einem das Gefühl, daß die Kirche im Freien steht. Das Lichtspiel wechselt je nach Tages- und Jahreszeit und kann in einer Computersimulation mit künstlichem Himmel nachvollzogen werden. Der direkte Kontakt zur Schöpfung wird so ermöglicht und die Nähe zum Himmel auch architektonisch bewerkstelligt. Über eine verglaste Pergola wird die Kirche mit dem Altbau der Akademie und dem Gästehaus wie auch dem Meditationsgarten verbunden. Der Meditationsgarten wird 14 m x14 m groß. Im Zentrum befindet sich ein vertiefter Bereich mit einer Sitzbank, der mit niedrigen Decken umschlossen ist. Stauden und Blumen unterschiedlicher Farbigkeit verleihen dem Garten, der jetzt Mariengarten heißt und eventuell auch eine Marienstatue bekommt, ein lebhaftes, sich im Jahr wandelndes Blumenbild.
Höger spricht begeistert von dem Projekt des Katholischen Zentrums. Es ist für ihn, der sich selbst nicht als kirchlich gläubig bezeichnet eine Erfahrung, die ihn als Mensch und Architekt nachhaltig verändert hat. Besonders angenehm fand er, daß die Fragestellungen der Wirkung und des Inhalts sich immer in Korrelation mit der Architektur befanden. In rein wirtschaftlichen Projekten wird neben den Fragen der Effizienz und Funktionalität oft nicht mehr viel weiterer Auseinandersetzungstoff verlangt. „Das war hier anders“. Höger schließt unser Interview, indem er noch einmal betont, wie gerne er wieder ein religiöses Thema bearbeiten würde und wie angenehm, neu und herausfordernd diese Aufgabe, einen religiösen Raum zu schaffen, für ihn war. Morgen geht das Hämmern und Bohren auf der Baustelle wieder seinen normalen Gang. Ein bißchen müssen die Mitarbeiter der Katholischen Akademie noch Geduld haben, bevor am Ende des Jahres die Kompressen, Bagger und Raupen dann aber endgültig stillstehen. Schon ab Juli werden die Veranstaltungen wieder in den Räumen der Hannoverschen Straße Nr. 5 stattfinden und für den 4. und 5. Dezember ist die Einweihung des Gesamtprojektes Chausseestraße/Hannoversche Straße geplant. Dann „strahlet der Weißbeton des Auditoriums, genauso die Pergola vor Gottes Haus, ziehen Worte des Friedes in die Straße hinaus...“

Nina Sophia von Waechter

© by Nina Sophia von Waechter
Nr. 19/98 vom 16. Mai 1999