Hier
sind die Schwachen stark
Behinderteneinrichtung St. Johannesberg in
Oranienburg feierte 100. Geburtstag
Oranienburg - Säuglinge hatten wir,
solange ich hier der Leiter bin, noch nie. Aber
Kleinkinder sind schon öfter zu uns
gekommen. Mit diesem Satz macht Heinz Steht
gleich zu Beginn deutlich, daß sich das
ursprüngliche Konzept des St. Johannesbergs in
Oranienburg im Laufe der Jahrzehnte, und besonders nach
der Wende im Jahr 1989, deutlich gewandelt hat. Heinz
Stehr ist der Gesamtleiter der Oranienburger
Behinderteneinrichtung St. Johannesberg, die heute in
der Trägerschaft der Caritas Familien- und
Jugendhilfe GGmbH als Tochtergesellschaft des Berliner
Caritasverbandes liegt. Seit Mitte der 80er Jahre
arbeiten Stehr und seine Ehefrau im Johannesberg. Mit
heute insgesamt 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
sind sie um das Wohl der Schwächsten innerhalb der
Gesellschaft bemüht. Behinderte Menschen finden
hier ein Zuhause, erfahren Förderung und Bildung,
können arbeiten und Therapieangebote nutzen und
werden teilweise auf ein selbständiges Leben
innerhalb der eigenen vier Wände vorbereitet.
Gerade konnte sich Heinz Stehr noch ein wenig Zeit
abringen, um mit der KirchenZeitung über das
große Jubiläum, über die Perspektiven
und die Geschichte einer der, wenn nicht gar der
bedeutendsten Einrichtung für behinderte Menschen
in der Region zu sprechen.
1899 wurde St. Johannesberg als Haus zur Landerholung
für Berliner Kinder gegründet. Vor genau 100
Jahren waren es die Dominikanerinnen am Arenberg bei
Koblenz, die Sommervilla in der Oranienburger Berliner
Allee 9 käuflich erwarben. Am Johannestag kamen
die ersten Ordensschwestern vom Arenberg in Oranienburg
an. Daher rührt nach Informationen von Heinz Stehr
auch der Name der nunmehr 100 Jahre alten Einrichtung:
St. Johannesberg.
1928 wurden Säuglinge aus dem ebenfalls den
Dominikanerinnen gehörenden Katharinenstift in
Berlin zur Dauerbetreuung nach Oranienburg gebracht.
Diese Säuglinge, so Stehr, waren dem Stift vom
Berliner Jugendamt zugewiesen worden. Im Zweiten
Weltkrieg diente das Heim St. Johannesberg vornehmlich
als Evakuierungslager für die im Katharinenstift
beheimateten Kinder.
Unmittelbar nach Ende des Krieges wurden 65 elternlose
Flüchtlingskinder aus Ostpreußen im
Johannesberg aufgenommen. Zur gleichen Zeit begann hier
die Belegung mit tuberkulosekranken und
gefährdeten Kindern. Das Heim war damals
ständig mit 160 bis 170 Kindern belegt. 1954
wurden dann in Absprache mit dem Caritasverband Berlin
die ersten zehn geistig behinderten Kinder aus dem
Bezirkskrankenhaus Brandenburg-Görden
übernommen. Ihre Zahl wurde nach und nach auf 110
erhöht. In den DDR-Jahren wurde die
Säuglingsgruppe mit 30 bis 35 Säuglingen per
staatlicher Anordnung aufgelöst. Bis zum Ende der
70er Jahre wurden die Kinder im Alter von 14 bis 15
Jahren, die bei den Ordensschwestern ein neues Zuhause
gefunden hatten, nach Brandenburg
zurückverlegt.
Wenige Jahre vor der Wende verlassen die elf
Dominikanerinnen, drei von ihnen bereits im
Rentenalter, den Johannesberg. Der Caritasverband
für das Bistum Berlin übernimmt die
Einrichtung. Heinz Stehr: Spätestens
jetzt sieht das Konzept vor, daß einmal
aufgenommene Kinder im Johannesberg beheimatet bleiben,
soweit nicht persönliche Wünsche und
medizinische Indikationen
dagegensprechen.
Dann kam der von vielen DDR-Bürgern, gerade auch
in katholischen Kreisen, lange und sehnlichst erwartete
politische Umbruch. Die verkrusteten Strukturen brachen
weg und für die Einrichtung St. Johannesberg
eröffneten sich auf einmal ganz neue Perspektiven.
Von diesem Zeitpunkt an änderten sich
die Strukturen grundsätzlich, erinnert
sich Stehr. Die Eröffnung einer Sonderschule und
einer Werkstatt für geistig Behinderte wurden
geplant und die Betriebsgenehmigungen beantragt. Die
ersten Zivildienstleistenden und Mitarbeiterinnen im
Freiwilligen Sozialen Jahr nahmen ihre Arbeit auf.
1990 wurde die Dreiteilung der Einrichtung in Wohnheim,
Sonderschule und Werkstatt beschlossen und 1991
realisiert. Im August 1992 wurde die Förderschule
staatlich anerkannt. 50 Schülerinnen und
Schüler werden hier unterrichtet und
gefördert. Es gibt sieben Klassen mit je sechs bis
acht Schülern.
Im Juni vergangenen Jahres konnte der Neubau für
die Werkstatt für Behinderte eingeweiht werden.
Hier arbeiten heute 160 behinderte Menschen im
Werbebereich, in der Hauswirtschaft, der Montage, im
Metallbereich, im Landschaftsbau und im
Veranstaltungsservice.
Im Wohnheimverbund St. Johannesberg haben heute 93
Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Gruppen von sechs
bis zehn Personen ihr Zuhause gefunden. Im
nächsten Monat soll das Projekt Betreutes Wohnen
starten , erklärt Heinz Stehr. In zwei
Oranienburger Wohnungen, außerhalb des
Johannesberges, werden eine junge Frau und zwei junge
Männer ihr Leben selbständig führen
können.
Nach Stehrs Angaben wurden in das Gesamtkonzept St.
Johannesberg in den letzten Jahren rund 13 Millionen
Mark investiert. Umbau, Ausbau, Neubau,
Strukturverbesserungen und -erweiterungen kosten Kraft,
Nerven und vor allem Zeit. Früher habe
ich jeden Mitarbeiter und jeden Bewohner mindestens
einmal am Tag gesehen und ihn oder sie per Handschlag
begrüßt. Heute schaffe ich das nicht mal pro
Woche, sagt Stehr.
Er und seine Mitarbeiter haben eine ansehnliche
Festschrift zum 100jährigen Jubiläum
erstellen lassen. 2.000 Exemplare wurden gedruckt. Die
Festschrift kann zum Selbstkostenpreis im Johannesberg
erworben werden: St. Johannesberg, Berliner Straße
91/93, 16515 Oranienburg. Tel.: 03301 / 852 - 0
Thomas Steierhoffer
(C) by Thomas Steierhoffer
Nr. 25/99 vom 27. Juni 1999
|