Es
bleibt eine selige Last
Am 9. September 1999
ist der Berliner Erzbischof
Kardinal Georg Sterzinsky 10 Jahre im Amt
Frage: Herr Kardinal, am 24. Juni 1989
wurde Ihre Ernennung zum Bischof von Berlin
bekanntgegeben. Wie war Ihre erste Reaktion?
Sterzinsky: Ich war darauf vorbereitet
und deswegen auch nicht mehr erschrocken. Ende Mai 89
hat das Domkapitel in Berlin mich gewählt und
gefragt, ob ich die Wahl annehmen würde. Am 4.
Juni habe ich mein Einverständnis gegeben. Dann
ist die Meldung nach Rom erfolgt, damit der Heilige
Vater mich ernennen konnte. Ich war an diesem 24. Juni
zur Priesterweihe im Erfurter Dom. Nach der Weihe gab
Bischof Wanke bekannt, dass ich Bischof von Berlin
würde. Es hat sich von den Leuten kaum einer
erstaunt gezeigt. Alle taten so, als ob sie das
erwartet hätten.
Frage:Sie waren gerade zwei Monate
Bischof von Berlin, da fiel am 9. November die Berliner
Mauer. Hat Sie dieses Ereignis eher mit Freude
erfüllt oder waren sie erschrocken?
Sterzinsky: Nur mit Freude. Es war zu
spüren, dass eine Befreiungsbewegung in der DDR
wirksam wurde. Es stand zwar eine Reiseregelung an, die
von der DDR Regierung vorbereitet wurde. Aber das Volk
hatte keine Geduld mehr. Dass da unaufhaltsam etwas in
Bewegung gekommen ist, was zur Vereinigung der beiden
deutschen Staaten führen würde, habe ich
damals allerdings noch nicht so eingeschätzt. Ich
dachte eher an eine langwierige Entwicklung zu einem
Miteinander der deutschen Staaten.
Frage:Wie hatten Sie als Pfarrer in Jena und
dann als Generalvikar von Erfurt die Situation des
Bistums Berlin wahrgenommen?
Sterzinsky: Als Pfarrer von Jena habe
ich gelegentlich etwas davon gehört, häufiger
als Generalvikar durch den Kontakt mit Bischof Meisner
und Generalvikar Steinke, dass das eine Bistum Berlin
zwar rechtlich nicht geteilt ist, das kirchliche Leben
sich aber doch eher wie in zwei Bistümern
vollzieht. Der Bischof sozusagen zwei kleine
Bistümer zu verwalten hat. Ich habe mir
vorgestellt: Wenn er von Ost nach West geht, kommt er
in eine ganz andere Welt und Gesellschaft, auch mit
einer anderen Lebensweise in der Kirche, anderen
Fragestellungen und Möglichkeiten. Ich bin mit
grosser Spannung nach Berlin gekommen und habe gedacht:
Wie werde ich mich da hineindenken und -fühlen
können?
Frage: Sie standen ja unvermittelt vor der
Aufgabe, die innere Einheit des Bistums
herzustellen.
Sterzinsky: Dass die vielbeschworene
innere Einheit erst gesucht werden müsste, war mir
nicht klar. Aber auch den Berlinern nicht. Alle waren
der Meinung, in der inneren Haltung, in der
Bereitschaft füreinander, im inneren Miteinander
sind wir problemlos eins. Nur die äusseren
Verhältnisse behindern uns. Deswegen stellte sich
die Zusammenführung zweier Bistumsteile, die eine
ganz unterschiedliche Geschichte hatten, noch gar
nicht. Die Aufgabe war, die Verwaltung zu vereinfachen
und zusammenzuführen. Als Neuling in Berlin war
ich naiverweise der Meinung, das müsse sich doch
schnell machen lassen. Es zeigte sich aber, wie beide
Seiten an ihren Strukturen, an ihren Stellen,
Verfahrensweisen und Geschäftsordnungen hingen. Im
Zusammenhang mit dem Katholikentag 1990 habe ich
gesagt: Wir werden jetzt unverzüglich an die
Vereinigung der Ordinariate gehen. Wir werden ein
Ordinariat haben, bevor es einen deutschen Staat gibt.
Das wurde mit Kopfschütteln aufgenommen. Wir haben
es auch zu dem geplanten Datum 1.9.90 nicht geschafft.
Formell haben wir es am 1.1.91 in Kraft gesetzt, und
dann hat es noch ein Jahr gedauert, bis alles vollzogen
war.
Die innere Einheit herstellen zu müssen ist uns
erst bewusst geworden, als wir merkten, wieviel
Voreingenommenheit und Überheblichkeit auf einem
Male erschien, wieviele Vorwürfe geäussert
wurden.
Frage: Wie ist man da weitergekommen?
Sterzinsky: Es war viel guter Wille
da. Schon bald konnten wir Priester und andere
Mitarbeiter von Ost nach West und West nach Ost
versetzen. Da spürte ich jetzt ein ehrliches
Bemühen um Offenheit für andere Erfahrungen.
Aber ich merkte, dass die Gemeinden andere
Prioritäten setzten, andere Erfahrungen haben, die
auch unterschiedliche Beurteilung der geschichtlichen
Vorgänge und religiösen Praxis mit sich
brachten. Da gibt es sogar jetzt noch Schwierigkeiten.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Bewertung unserer
KirchenZeitung. Viele trauern dem St. Hedwigsblatt
nach. Sie mögen die neue Art der KirchenZeitung
nicht und behaupten, sie sei ganz nach der Art des
Petrusblattes. Das stimmt zwar nicht ganz. Aber man
merkt, dass immer noch Überwindung erforderlich
ist.
Frage: Was war für Sie der dickste
Brocken?
Sterzinsky: Die Zusammenführung
der einzelnen Ensembles im Chor der St.
Hedwigs-Kathedrale. Die ist nicht gelungen. Wir haben
mehrere leistungsstarke Ensembles in dem einen Chor.
Aber es hat sehr viel Unverständnis gegeben und
Überheblichkeit. Die Zusammenführung all
derer, die im Hedwigschor mitwirken wollten und
könnten, ist nicht gelungen. Die Musik hat nicht
darunter gelitten, aber sehr das Bild der katholischen
Kirche nach außen.
Frage: Sie gelten als sehr
frauenfreundlich. Mädchen als Ministranten sind
kein Problem mehr. Sie haben im Bistum eine
Frauenkommission eingerichtet und sind der
Frauenbischof in der
Bischofskonferenz. Warum engagieren Sie sich in diesem
Bereich so?
Sterzinsky: Ich gehe von der nicht
neuen Beobachtung aus, dass die Frauen in der Kirche
ihren Platz noch nicht gefunden haben. In der
Gesellschaft ist manches in Bewegung geraten und
erreicht, in der Kirche noch nicht. Ausschlaggebend ist
für mich die Einsicht, dass im Neuen Testament und
in der alten Kirche Ansätze da sind, der Frau
einen ganz eigenen Platz zu geben - einen
höherwertigen Platz als in der sich dann
entwickelnden Praxis der Kirche. Es ist geschichtlich
eindeutig nachweisbar, dass die Wertung der Frau in der
Kirche dem Christentum auch den Weg in die Gesellschaft
geebnet hat. Aber dann ist so vieles in der Kirche
stecken geblieben. Frauen haben immer in der Kirche
große Bedeutung gehabt,
Einzelpersönlichkeiten und besonders die
Frauengemeinschaften, zum Beispiel in den Orden. Was
haben die nicht alles in der Kirche bewirkt! Aber das,
was im Neuen Testament angedeutet und grund gelegt ist,
ist noch nicht zur Wirkung gekommen. Dass wir das
aufgreifen und heute verwirklichen, sind wir dem
normativen Ursprung der Kirche schuldig. Aber mit
revolutionären Schritten erreicht man weniger als
mit einem evolutiven Prozess.
Frage: Sie stehen dafür ein, dass davon
auch andere Bischöfe überzeugt werden und die
Gläubigen im Bistum?
Sterzinsky: Ja. Die Verschiedenheit
von Mann und Frau muss gewahrt werden, und doch muss es
eine grundsätzliche Ebenbürtigkeit geben. Wie
das konkret aussieht, kann noch keiner genau sagen.
Wenn wir ohne einzelne Entwicklungsschritte gleich das
Ziel erreichen wollen, kann Unglück passieren. Wir
werden Schritte gehen, die nicht immer gleich das
letzte Ziel darstellen. Wie bei der Reform der
Liturgie. Wenn vor 100 Jahren einer gesagt hätte,
die Liturgie müsse so aussehen, wie sie nach dem
2. Vatikanischen Konzil aussieht, das wäre nicht
akzeptiert und geistlich fruchtbar geworden. In der
liturgischen Bewegung wurde diese und jene Einsicht
gewonnen und umgesetzt, später erst andere, und
vieles davon ist wieder überholt worden. Zum
Beispiel das Verfolgen des Geschehens am Altar mit dem
Schott in der Hand. Das war ein Zwischenschritt hin zur
heutigen Liturgie, in der es ein Miteinander der
verschiedenen Rollen gibt. Es wäre doch
töricht, wenn wir die Liturgiereform, wie sie in
den dreißiger Jahren gedacht war, festgeschrieben
hätten. Solche evolutionären Prozesse
müssen wir in der Kirche in Bewegung halten, damit
die Frauen ihren Platz finden - schrittweise.
Frage: Sie betonen immer wieder, dass Frauen
mehr in Leitungsfunktionen der Kirche kommen
müssten.
Sterzinsky: Was wäre das
schön, wenn sich bei Ausschreibungen von leitenden
Stellen mehr Frauen bewerben würden. In den
letzten zehn Jahren waren mehrere leitende Stellen neu
zu besetzen. Unter den Bewerbungen waren ganz ganz
wenige Frauen. Bei zwei Stellen haben wir uns für
eine Frau entschieden, dann hat aber die Frau abgesagt.
Es ist bedauerlich, dass an fast allen leitenden
Stellen in unserem Bistum nur Männer sitzen. Es
wäre für die Frauen besser und die gesamte
Ortskirche von Berlin, wenn es da ein Miteinander von
Frauen und Männern gäbe.
Glücklicherweise haben wir bei der Leitung unserer
Schulen viele Frauen. Aber im Ordinariat selbst sind an
leitenden Stellen keine Frauen. Als das Dezernat
Schule, Wissenschaft und Erziehung besetzt wurde, habe
ich gesagt: Herr Richter, Sie sind ein tadelloser Mann,
aber einen Fehler haben Sie, Sie sind keine Frau.
Frage: In der Öffentlichkeit wird
Ihr starkes Engagement in der Asyl- und
Flüchtlingsfrage wahrgenommen. Hat das etwas mit
Ihrer eigenen Geschichte zu tun? Als Kind haben Sie ja
selbst Vertreibung und Flucht erlebt.
Sterzinsky: Manchmal krame ich
Erinnerungen hervor, wie es uns ergangen ist, als wir
als Vertriebene nach Mitteldeutschland kamen. Ein
bewusstes Motiv ist es aber nicht. Bewusst ist mir,
dass da Menschen in Not sind. Ich will sie gar nicht
anlocken. Sie sind aber nun mal da, und ich muss ihnen
in einer menschlich-christlichen Weise begegnen und
mich für sie einsetzen. Es ist auch die biblische
Motivation. Ich lebe immer mit der Bibel in der Hand,
und dauernd stoße ich darauf, was der Fremde gilt
und der Obdachlose, und welche Sorge ihm zugewendet
werden muss.
Frage: Sie ecken damit nicht nur bei
Politikern an, sondern auch bei Christen.
Sterzinsky: Das ist richtig. Ich kann
aber nicht nur das machen, was die gut finden, die sich
lauthals melden. Nur weil es schwierig ist und man sich
in die Nesseln setzen kann, werde ich mich vor der
Aufgabe nicht drücken.
Von Berlin aus sind einige Impulse für die
Gesetzgebung gekommen. Auch auf Bundesebene haben
Regierungsstellen das sehr wohl aufgenommen, was hier
in Berlin angeregt wurde. Nicht immer im vollen Umfang,
aber immerhin haben wir etwas bewirkt. Außerdem
weiß ich, dass politische Kräfte sehr darauf
achten, wie die Kirche Stellung bezieht, und sich
fragen: Wie wird wieder der Berliner Bischof reagieren?
Das soll wohl so sein.
Oft bekomme ich, wenn ich wieder einmal für den
Schutz der Ausländer eingetreten bin, von Neonazis
ganz giftige Briefe - von ganz jungen Leuten, die noch
gar nicht richtig schreiben können, und von
vermeintlich gebildeten Leuten aus der höchsten
Intelligenzschicht, auch von alten Veteranen der
Kriegszeit und von denen, die die Nazizeit mit
Hurra-Rufen überstanden haben. Ich hoffe, dass
diese Briefe ein falsches Bild von der Gesellschaft
geben.
Frage: Einige deutsche Bischöfe gehen auf
Distanz zu Berlin, sie befürchten einen
Säkularisierungsschub. Wie kommen Sie mit dem
neuen Berlin zurecht?
Sterzinsky: Eine Distanz stelle ich in
weiten Teilen der Bundesrepublik fest. Bei
Bischöfen geht es nicht nur um die
Säkularisierung der Öffentlichkeit, sondern
auch um die Befürchtung, dass alles
zentralistischer wird.
Es stimmt: Der Säkularisierungsschub ist in Berlin
besonders schnell. In Menschenanballungen gehen
Entwicklungen immer am schnellsten. Dadurch werden
andere aber nicht angetrieben und brauchen vor Berlin
keine Angst zu haben. Jedoch sie können sehen, was
auf sie zukommt.
Frage: Werden sie auch auf die Kirche
von Berlin schauen und sehen können, wie man die
Probleme löst?
Sterzinsky: Sie werden auf die Kirche
schauen; ob sie Beispielhaftes finden, weiß ich
nicht. Berlin gehört zu den Gebieten, in denen
alle Kirchen überhaupt schon in der Minderheit
sind. Wir werden als Katholiken nicht sehr stark sein
können. Wenn es darum geht, dass in Berlin
Anliegen, die das ganze deutsche Volk und die gesamte
Gesellschaft betreffen, verstärkt spürbar
werden, dann brauchen wir auch als Kirche die
Unterstützung anderer Diözesen - personell,
mit Rat und Tat, finanziell. Solche Hilfe würde
allen Ländern, nicht nur der Kirche von Berlin
zugute kommen.
Frage: Gibt es Bereitschaft zu solcher
Unterstützung?
Sterzinsky: Die Einsicht ist noch
nicht sehr vertieft. Aber wenn man sagt, was in Berlin
läuft, hat exemplarische Bedeutung, dann
müsste eigentlich die Bereitschaft wachsen. Ich
werde nicht müde werden, das immer wieder zu
sagen, weil wir viele der Aufgaben nicht erfüllen
können, die hier auch als Mustervorlage für
andere zu leisten sind.
Frage: Die Säkularisierung kann doch aber
das eigene Profil fördern.
Sterzinsky: Der Prozess der
Säkularisierung ist nicht nur negativ, auch
für Kirche und Religion nicht. Natürlich
bergen viele Phänomene, die damit verbunden sind,
eine Gefahr - aber auch eine Chance. Gefährlich
ist, nur auf die Gefahren und nicht auch auf die
Chancen hinzuweisen. Die Gefahren zu übersehen ist
naiv und verstärkt sie. Man muss aber auch das
Positive sehen. Zum Beispiel, dass sich die Kirche ganz
klar abhebt und von der profanen Gesellschaft
unterschieden wird und sie trotzdem ihre Hinordnung auf
die Gesellschaft und die Einflüsse der
Gesellschaft auf die Kirche erkennt. Deswegen brauchen
wir eine Katholische Akademie als katholische
Akademie.
Frage: Sie haben einmal gesagt, Ihnen
würde als Bischof in der Hauptstadt eine
Sprecherfunktion zukommen. Das hat
Erstaunen hervorgerufen.
Sterzinsky: Von den kirchlichen
Strukturen kommt mir keine Sprecherfunktion zu. Will
ich auch gar nicht haben. Aber die Medien, die
Einrichtungen und Institutionen werden anfragen. Jeder
weiß: Die Bundesregierung spricht für die
Bundesregierung, der Regierende Bürgermeister
spricht für Berlin. Bei den kirchlichen Strukturen
ist das nicht so bekannt, dass der Bischof von Berlin
für sein Bistum spricht. Man fragt häufig
nicht, wenn man die katholische Kirche hören will,
nach der Bischofskonferenz. Man fragt den nächsten
Bischof. Oder man fragt ihn gar nicht, sondern
hört, was er gerade sagt, nimmt das als
authentische Aussage der Kirche und übersieht,
dass er nur für seine eigene Ortskirche spricht.
Ich habe deswegen gesagt, die Öffentlichkeit
spricht mir eine Sprecherfunktion zu, die mir nicht
zukommt. Das wird Verwicklungen geben. Ich kann und
will deswegen aber nicht schweigen, oder jedesmal
dazusagen Das gilt nur für
Berlin. und so tun, als ob es für andere
ausdrücklich nicht gilt.
Frage: Die Stadt Berlin zieht viel
Aufmerksamkeit auf sich. Bleiben da die Regionen
Brandenburg und Vorpommern nicht etwas auf der
Strecke?
Sterzinsky: Die kleineren Gemeinden
fühlen sich in der Tat oft übersehen. Die
Gemeinden in den kleineren und mittleren Städten
haben schon ihr eigenes Gewicht. Es ließe sich
sehr leicht zeigen, dass sie mehr Unterstützung
vom Ordinariat bekommen als die Berliner Gemeinden. Auf
die Zahl der Katholiken bezogen haben wir in
Brandenburg und Vorpommern mehr soziale Einrichtungen,
viel mehr überpfarrliche Einrichtungen, viel mehr
Priester und Laien im pastoralen Einsatz. Manches aber
ist in diesen Gegenden nicht möglich, und da
meldet sich leicht die Befürchtung, übersehen
zu werden. Ich weiß um die Empfindlichkeit. Ich
weiß aber auch, dass die Mitarbeiter im Ordinariat
immer die Gemeinden in den Regionen im Blick haben. Ich
selbst habe die Gemeinden Vorpommerns und Brandenburgs
häufiger besucht als die Berliner Gemeinden.
Frage: Nach Ihrer Bischofsweihe sagten Sie,
das Amt sei für Sie eine selige
Last. Bleiben Sie dabei?
Sterzinsky: Ohne jede
Einschränkung.
Interview:
Lutz R. Nehk
Nr. 35/99 vom 5. September
1999
(C) by kkz
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