Alles andere als „brav“

7.000 protestierten gegen Sparpläne des Senats auf Kosten 
katholischer Krankenhäuser in Berlin

Berlin - „Das hätte ich bei den Berliner Katholiken nicht für möglich gehalten. Die sind doch sonst immer so brav!“ Das sagte ein Rheinländer am Rande der ersten Protestdemonstration der Berliner Katholiken in der Geschichte ihres Bistums. Man trifft sie in der Regel „brav und fromm“, zum Beispiel bei Fronleichnamsprozessionen. Am vergangenen Freitag vor der St. Hedwigs-Kathedrale auf dem Bebelplatz versammelten sich so viele wie noch nie in den letzten Jahren: etwa 7.000 (Schätzungen liegen zwischen 6.000 und 8.000) kamen trotz des Regens. Es waren in der Hauptsache dieselben wie sonst auch: Priester und Laien, Vertreter der großen Verbände Kolping und KAB mit ihren Bannern, Ordensschwestern in ihren Trachten, Prälaten in violett oder einfachem Schwarz, Mitarbeiter des Ordinariats, von Caritas und anderen kirchlichen Einrichtungen und die ehrenamtlichen Mitglieder der verschiedensten Gremien, vom Diözesanrat bis hin zum „einfachen“ Pfarrgemeinderats-Mitglied. Sie alle waren diesmal alles andere als „brav“. Sie waren aufgebracht. Aufgebracht gegen eine Senatspolitik, die den katholischen Einrichtungen in dieser Stadt „an den Kragen will“, so drückte es einer aus. Und das ausgerechnet nicht ein „roter“, sondern ein „schwarzer“ Senat, mit einer Katholikin, einer „Glaubensgenossin“ also, als Gesundheitssenatorin. 
Einige gaben zu, daß sie auch etwas aufgeregt seien. Denn: „Ich habe noch nie in meinem Leben an einer Demonstration teilgenommen“, sagte ein älterer, gesetzter Herr.
„Daß das ausgerechnet meine Partei verzapft, noch dazu in einem Wahljahr, ist verheerend“, sagte ein gestandenes CDU-Mitglied aus Zehlendorf, früher selbst Stadtrat. Viele seiner Parteifreunde könnten das ebenfalls nicht verstehen und seien bei der Protestdemo dabei. Hanna-Renate Laurien, früher selbst Bürgermeisterin in diesem Senat, rief den Demonstrations-Teilnehmern vor dem „Roten“ Rathaus zu: „Wehret den Anfängen!“ Die Gesundheitssenatorin habe jede Glaubwürdigkeit verloren und zerstöre dasVertrauen der Bürger. „So gefährdet man den Frieden in unserer Stadt: im vergangenen Jahr die Kindertagesstätten, in diesem Jahr die Krankenhäuser - demnächst vielleicht die katholischen Schulen?“ 
Auch Kardinal Sterzinsky, der sich an die Spitze des Demonstrationszuges gesetzt hatte, war aufgebracht, sichtlich böse: Er sprach von „ Vertrauensschwund der Politik des Berliner Senats“ und nannte das Ergebnis der Krankenhauspolitik „niederschmetternd“. - Der Kardinal: „Mit Kahlschlag lassen wir uns nicht abspeisen!“
Am Montag nachmittag führte Kardinal Sterzinsky mit Eberhard Diepgen ein vertrauliches Gespräch, bei dem die Positionen noch einmal dargelegt wurden. Obwohl sich doch eine Verhandlungslösung abzeichnet, sind die fünf katholischen Krankenhäuser noch lange nicht gerettet. Trotz der über 300.000 Unterschriften für den Erhalt! 

© by Georg von Glowczewski
Nr. 3/99 vom 24. Januar 1999