Die Weichen für den Umzug sind gestellt

Erzbischöfliches Ordinariat zieht von vier Standorten in die Niederwallstraße

Berlin - Umzug, Umzug - alle reden vom Umzug. Bedingt durch die politischen Ereignisse seit der Wende vor zehn Jahren gehört dieses Wort zu den wichtigsten und meistgebrauchten unserer Tage. Aber nicht nur viele Bonner sind vom Umzug betroffen und wechseln vom Rhein an die Spree. Auch für das Erzbistum Berlin ist der Begriff wichtig geworden.
Während der Umzug für Politik, Ministerialbürokratie und den nachgeordneten Verwaltungsapparat bereits begonnen hat, steht er für das Erzbistum Berlin allerdings noch bevor. Frühestens im letzten Quartal des Jahres 2001 wird damit begonnen werden. Ab diesem Zeitpunkt kann das Erzbischöfliche Ordinariat in die Niederwallstraße 8-10 in Berlin-Mitte umziehen. Von den bislang vier Dienstsitzen - Wundtstraße, Französische Straße, Neue Kantstraße, Witzlebenstraße - wird die Diözesan-Verwaltung an einem Ort zusammengeführt und konzentriert.
Dass dies in vieler Hinsicht nur von Vorteil sein kann, wird auch demjenigen einleuchten, der sich mit Verwal-tungsabläufen nicht auskennt. Denn nicht nur die Dienstwege werden kürzer, auch Gespräche und Konferenzen können rasch und unkompliziert angesetzt und geführt werden, ohne erst durch die halbe Stadt fahren zu müssen, Besucher irren sich nicht mehr in den Adressen. Darüber hinaus wird auch unter den Beschäftigten die Ost-West Distanz zumindest räumlich aufgehoben. Und überhaupt, so die Meinung vieler, gehört ein Ordinariat in die Nähe der Kathedrale. Nicht zu vergessen schließlich noch der finanzielle Aspekt. Doppelte, bzw. vierfache Aufwendungen für technisches Personal können reduziert und gespart werden.
Bei der Vorgeschichte der demnächst stattfindenden Zusammenlegung trafen verschiedene Dinge zusammen. Sie reichen einige Jahre zurück und haben mit den Grauen Schwestern, einem maroden Dach, dem Heiligen Stuhl und gewitzten Finanz-Experten zu tun.
Erstens wurde bei Malerarbeiten im Ordinariat in der Wundtstraße festgestellt, dass eigentlich schon längst das Dach hätte saniert werden müssen. Doch damit nicht genug, auch das marode Heizungssystem des aus den frühen 50er Jahren stammenden Hauses wartet seit Jahren auf eine gründliche Erneuerung. Insgesamt sind Sanierungsmassnahmen für rund eine Million Mark fällig. Das zweite: 1993 wurde nach 100 Jahren das St. Joseph-Krankenhaus in der Niederwallstraße 8/9 geschlossen. Nachwuchsmangel bei den Schwestern von der heiligen Elisabeth, auch „Graue Schwestern“ genannt, und die zu geringe Bettenkapazität des Hauses zwangen zur Aufgabe. Das Bischöfliche Ordinariat erwarb den traditionsreichen Standort von der Provinzialleitung des Ordens und kaufte auch das Haus nebenan mit der Nummer zehn. Neben der GesamtKaufsumme von knapp unter zwanzig Millionen Mark rechneten die Experten noch einmal mit rund der Hälfte des Betrages für notwendige Sanierungs- und Umbauarbeiten. Aber diese Investitionen hätten sich gerechnet, denn - so der dritte Punkt - Berlin war als Standort für eine Katholisch-Theologische Fakultät im Gespräch. Die Niederwallstraße wäre wegen ihrer zentralen Lage eine ausgezeichnete Adresse dafür gewesen. Zudem hätte das Land Berlin zuständigerweise dann die Immobilie teilweise refinanziert, so dass der angespannte Diözesan-Haushalt weitgehend entlastet worden wäre.
Wäre, könnte und hätte - es kam anders. Zum einen wurden die Finanzmittel der öffentlichen Hand knapp und knapper und im Universitäts-Bereich musste drastisch gespart werden, zum anderen kam es mit dem Heiligen Stuhl zu keiner Einigung über die Rahmenbedingungen der neu zu gründenden Fakultät. Spätestens 1996 wurde dann allen Beteiligten klar, dass aus den ehrgeizigen Hochschul-Plänen in absehbarer Zeit nichts werden würde. Was aber nun tun mit dem Gebäudekomplex Niederwallstraße 8-10, für dessen Zinslasten allein jährlich enorme Summen fällig waren? Abwarten, überlegen oder wieder günstig verkaufen?
Eine Zuspitzung erfuhr die ungewisse Situation zusätzlich dadurch, dass der Diözesan-Haushalt praktisch zusammenbrach. Die Gründe hierfür waren vielfältig: Die Schließung vieler Betriebe in Ost und West führte zu einem massiv zurückgehenden Steueraufkommen, die allgemeine wirtschaftliche Lage verhieß weiterhin nichts Gutes und die bislang üppig fließenden Investitionsmittel vom Verband der Diözesen wurden deutlich heruntergefahren. Dazu wuchsen - bei praktisch zwei Ordinariaten - die Personalkosten insgesamt stark an.
Eine Phase des intensiven Nachdenkens für Metropolitankapitel, Finanzverwaltung und Diözesan-Verwal-tungsrat begann. Einigkeit herrschte daüber, dass es ein Fehler wäre, ein Haus in einer so zentralen Lage wieder zu veräußern. Als Zwischenlösung wurde der gesamte Komplex bis ins erste Halbjahr 2000 an Firmen zur zwischenzeitlichen gewerblichen Nutzung vermietet. Mit der Jahresmiete von 260.000 Mark waren zumindest die Zinslasten für den Erwerb der Immobilie abgedeckt.
Im Rahmen der Neustrukturierung war der Personalstand des Ordinariats so weit zurückgegangen, dass alle rund 175 Mitarbeiter aus den vier Standorten auf 3.400 qm Bürofläche mit der Domsingschule in der Niederwallstraße Platz gefunden hätten. Doch Finanzierungsberechnungen ergaben, dass sich das Erzbistum die notwendigen Sanierungs- und Umbaukosten in Millionenhöhe nicht leisten konnte. In Verhandlungen mit dem Petruswerk, der katholischen Wohnungsbau- und Siedlungsgesllschaft im Erzbistum, wurde schließlich eine Lösung gefunden, die alle zufriedenstellen kann: Im Wege des Erbbaurechts erwirbt das Petruswerk die Immobilie, saniert den Komplex und vermietet sie zu recht günstigen Bedingungen für die nächsten 30 Jahre dem Ordinariat. Im einzelnen sehen die Vertragsbedingungen vor, dass die Miete unteranderem durch die Bereitstellung von Liegenschaften (Ordinariatsgebäude Wundstraße; Erich-Klausener-Haus Witzlebenstraße) bezahlt werden kann. Darüber hinaus bleiben dem Petruswerk noch von der Bistumsverwaltung nicht benötigte rund 1.300 qm in Toplage zur eigenen Vermietung. Nach der Vertragsunterzeichnung, die innnerhalb der nächsten Monate vorgesehen ist, wird im Erzbischöflichen Ordinariat die detaillierte Anschlussplanung für das große Umzugsprojekt fortgesetzt werden. Dabei geht es nicht nur um die Frage „Wer kommt im neuen Haus wohin?“ sondern auch um eine veränderte Nutzung der Französischen Straße. So soll hier im Erdgeschoss ein Besucherbüro errichtet werden, eine Anlaufstelle für die Kathedral-Seelsorge des Dompfarramts. Darüber hinaus soll dort ein kleiner Konvent von Ordensschwestern Wohnung nehmen und in den Bischofsräumen Empfangsmöglichkeiten für Besuchergruppen geschaffen werden. Auch dem Domkapitel, das sich bislang praktisch nur im Privatbereich treffen kann, sollen entsprechende Räumlichkeiten für Tagungen geschaffen werden.
Die Pläne, die hier erstmals im größeren Rahmen öffentlich vorgestellt werden, sind das Ergebnis langer und arbeitsintensiver Diskussionen von Bistumsleitung und Fachexperten. Das Ergebnis erfüllt die Beteiligten auch deshalb zu Recht mit Stolz, weil hier ohne die Verwendung von Etat- und Kirchensteuermitteln für die Kirche von Berlin Wege ins nächste Jahrtausend bereitet wurden.

Werner Kerkloh

Nr. 45/99 vom 14. November 1999
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