100 Jahre Paulus-Haus in Jerusalem

Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande feiert sein historisches Gästehaus

Jerusalem - Im Land der Bibel, wo man eher in Jahrtausenden rechnet, sind hundert Jahre kein Aufsehen erregender Zeitabschnitt. Wenn jetzt aber das Gästehaus und die Begegnungsstätte des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande in Jerusalem auf das hundertjährige Bestehen zurückblicken darf, ist das bemerkenswert. Es geht um das Paulus-Haus: ein Vorzeigeobjekt mit interessanter Geschichte.
Wer in Jerusalem am Damaskustor steht oder durch das schönste aller Jerusalemer Tore schreitet, der kennt auch jenen burgähnlichen Monumentalbau, unmittelbar gegenüber dem Eingangstor zur Jerusalemer Altstadt gelegen. „Schmidtschule“ ist auf einem Schild zu lesen. Aber auch die treffendere Bezeichnung steht auf einer Tafel: „Paulus-Haus“.
Die Geschichte des imposanten Hauses beginnt 1898 mit dem Besuch von Kaiser Wilhelm II. in Palästina. Damals gab es bereits organisierte und im Volk verbreitete Wallfahrten ins Heilige Land. Seit 1886 existierte in Jerusalem ein bescheidenes deutsches Gästehaus, nicht vergleichbar mit dem größeren und stilvolleren Notre-Dame-Center der Franzosen. Bei der Begegnung mit dem Kaiser bat der deutsche Lazaristenpater Wilhelm Schmidt den Herrscher und seine Gattin Auguste um Unterstützung für den Neubau eines zeitgemäßen deutschen Hauses. Zuvor hatte sich Kaiser Wilhelm II. bereits persönliche Verdienste beim Erwerb beim Grundstückshaus auf dem Sion erworben, auf dem später die Dormitio-Kirche und die Benediktiner Abtei gebaut wurden.
Nun also gelang es bereits 1899 dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande in unmittelbarer Nachbarschaft des Damaskustores zwei Grundstücke zu erwerben, zu ummauern und zu bepflanzen. Damals konnte freilich niemand ahnen, dass dies einmal zum vielleicht quirligsten und geschäftstüchtigsten Quartier Jerusalems sich entwickeln würde. Der Kölner Diözesanbaumeister Heinrich Renard, der auch mit dem Bau der Marienkirche auf dem Sion beauftragt war, fertigte die Pläne für das neue deutsche Hospiz an. Ungefähr 160 Gäste sollten dort Unterkunft finden können. Ihre Betreuung übernahm der Orden der Borromäerinnen.
Am 20. März 1904 erfolgte über den fertig gestellten Fundamenten die offizielle Grundsteinlegung. Aus welchen Gründen auch immer: der Jerusalemer Patriarch und sein Weihbischof blieben dieser festlichen Zeremonie fern. So musste Pater Schmidt im Auftrag des Kölner Kardinals die Feier durchführen. Zwischen 1907 und 1908 wurde das Haus fertig gestellt. Fast alle Pilgerzimmer wurden von Freunden und Förderern des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande gestiftet. Auch der Kaiser in Berlin löste sein Versprechen ein und stiftete den „Kaisersaal“. Bis heute ein prächtiger, noch original ausgestatteter kleiner Saal im Paulus-Haus. In kurzer Zeit war das geräumige Haus mit dem großen Speisesaal, mit Rauchsalon, Leseraum, Kapelle und Aussichtsterrassen bei den Pilgern beliebt. 1908 nahm dort die 30. bayrische Pilgerkarawane Logis und zu Ostern traf eine Gruppe des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande ein. Der Ausbuch des Ersten Weltkrieges brachte dieser segensreichen Einrichtung schwere Probleme. Weil keine Pilger mehr kamen, wurden die Pforten geschlossen. Ehe das Haus 1917 von den Briten endgültig beschlagnahmt wurde, war es eine Zeit lang Hauptquartier deutscher Offiziere und Erholungsort für deutsche Soldaten.
Der schöne Bau blieb zweckentfremdet. Die Engländer residierten in ihm bis 1948. Mit der Teilung der Stadt Jerusalem im Arabisch-Israelischen Krieg 1948 fiel das Paulus-Haus in den jordanischen Teil der Stadt. Zunächst entschied der Heilig-Land-Verein hier die von Pater Schmidt begründete und nach ihm benannte Schule für arabische Mädchen unterzubringen. Nachdem 1965 ein neues Schulgebäude fertig gestellt war, entwickelte sich diese Schule zum hoch geschätzten Erziehungs- und Bildungszentrum in Jerusalem. Wer in der Schmidtschule den Schulabschluss schafft, hat nur selten Probleme, einen gescheiten Job zu finden. Eine Absolventin ist inzwischen die erste Pilotin in Jordaniens Airline.
Und das Paulus-Haus? Der aus weißen Kalkstein errichtete Bau ist wieder ganz für Pilger und Gäste da. Seit 1989 haben Maria-Ward- Schwestern, hierzulande besser bekannt als „Englische Fräulein“, die Leitung von Schule und Gästehaus übernommen, nachdem die Borromäerinnen aus ordensbedingten Gründen aufgeben mussten. Der Deutsche Verein vom Heiligen Lande hat ihnen für viele Jahre treuer Arbeit viel zu danken. Schwester Ruth Reißig steht inzwischen dem Gästehaus und dem internationalen Schwesternkonvent vor: vier Koreanerinnen, zwei Deutsche, eine Slowakin und eine Österreicherin. Im Paulus-Haus Gast zu sein heißt so gut wie immer, tiefe Eindrücke aus Jerusalem mit heimzunehmen. Es ist nicht nur der unvergleichliche Blick von der Dachterrasse des Hauses über die Dächer, Türme und Kuppeln Jerusalems bis hin zum Ölberg und dem leuchtenden Kreuz über der Grabeskirche. Jerusalemkenner sprechen vom schönsten Blick über die Stadt. Das Paulus-Haus vermittelt das Gefühl der Geborgenheit in einer Oase des Friedens in der immer noch unruhigen alten Stadt.
Wenn bei der Jubiläimsfeier neben 300 Gästen auch der Lateinische Patriarch Michel Sabbah, der deutsche Botschafter Theodor Wallau, der koreanische Botschafter Tschang Ho Lee, Abt Benedikt Lindemann OSB und viele Freunde des Paulus-Hauses waren, wurde dies zur öffentlichen und fröhlichen Gratulation für das hundertjährige und doch erfrischend lebendige Geburtstagskind.

Erich Läufer
Nr. 48/99 vom 5. Dezember 1999

(C) by kkz