Das
unverkürzte Evangelium predigen
Erinnerungen an
Kardinal Alfred Bengsch zu seinem 20.
Todestag
Berlin - Sie werden einen
schweren Weg gehen müssen. Das Gewölk wird
immer düsterer. Mit der Ihnen von Gott geschenkten
Gabe des Humors und mit der Weisheit, die Ihnen als
natürliche Mitgift, teils als
übernatürlicher Gabe zur Verfügung
stehen wird, werden Sie wohl die zahllosen
Schwierigkeiten und heiklen Situationen, die sich in
Ihrem kommenden Leben ergeben, zu bewältigen
vermögen. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass
Gottes Segen immer Ihr Begleiter, Erleuchter und
Führer ist. Diesen Glückwunsch
schickte Professor Dr. Michael Schmaus, der
Doktorvater, dem soeben zum Weihbischof in Berlin
ernannten Alfred Bengsch aus San Franzisko.
Schwerer Weg,
düsteres Gewölk,
heikle Situation. Ganz sicher
spielte Professor Schmaus nicht nur auf die
Diasporasituation des Berliner Bistums an, sondern auch
auf die politische: Die DDR-Regierung verweigerte dem
in West-Berlin residierenden Bischof Döpfner die
Einreise in die DDR, Weihbischof Tkotsch war schon seit
langem gesundheitlich den Belastungen nicht mehr
gewachsen und der Druck auf die Kirche durch das
SED-Regime nahm ständig zu.
War Alfred Bengsch, dessen Todestag sich am 13.
Dezember zum zwanzigsten Mal jährt, ein
politischer Bischof? War er ein Bischof des Ostteils
des Bistums?
Betrachten wir die erste Frage: Als am 23. April 1961
im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen eine
Gedenkstätte unter den politischen Aufgaben der
Kommunisten eingeweiht wurde, feierte Weihbischof
Bengsch parallel dazu einen Gottesdienst in der
benachbarten Herz-Jesu-Kirche in Oranienburg. Es galt
ja für die Kirche nicht nur der Terroropfer der
Nationalsozialisten zu gedenken, sondern auch derer,
die nach 1945 in diesem Lager als politisch Verfolgte
gelitten hatten und gestorben waren. In der Predigt
sagte er: Wenn die Würde des Menschen
nicht unantastbar ist, wenn er nicht unverlierbare
Rechte hat, wenn sein Gewissen und seine Freiheit nicht
die absoluten Rechte darstellen, dann ist
jene gespenstische Welt geschaffen, in welche
Vernichtungslager mit ihren Krematorien hineinpassen
Das Recht ist nicht zum Dienst der Macht da.
Es gibt ewige Gesetze und Normen, die über der
Macht stehen.
Das war ohne jeden Zweifel eine höchst politische
Äußerung. Und politisch kann man
natürlich seine Ernennung zum Bischof von Berlin
als Nachfolger des nach München berufenen
Kardinals Döpfner sehen. Die Wahl durch das
Domkapitel fand im Juli 1961 am Krankenbett von
Weihbischof Tkosch im St. Hedwig-Krankenhaus statt.
Eine Wahl, die ohne jeden Zweifel mit den Absichten des
Papstes übereinstimmte. Das war vor dem Bau der
Mauer. Als West-Berlin am 13. August 1961 von
Ost-Berlin und dem Umland abgeschnitten wurde, war zu
befürchten, dass ein in Ost-Berlin residierender
Bischof auch nicht mehr nach West-Berlin kommen
könnte. War die Grundlage der Wahl entfallen?
Papst Johannes XXIII. vertraute, zu Recht, wie wir
heute wissen, auf die Richtigkeit der Entscheidung und
ernannte Weihbischof Bengsch am 16. August 1961 zum 6.
Bischof von Berlin. Noch vor seiner Amtseinführung
wählte ihn die Berliner Ordinarienkonferenz zu
ihrem Vorsitzenden.
Hoch angerechnet, schrieb dieser
Tage eine Zeitung, wird ihm, dem
Schöneberger - also West-Berliner - dass er sich
nach dem Mauerbau 1961 für den Osten
entschied.
Abgesehen davon, dass Alfred Bengsch seit 1946 nicht
mehr in Schöneberg gewohnt hatte und als echter
Sohn seiner Stadt Berlin ein Problem hie
Schöneberg - hie Weißensee
wahrscheinlich auch gar nicht hatte, stellte sich diese
Frage sowieso nicht mehr: Nach dem Einreiseverbot, das
die DDR-Regierung über Kardinal Döpfner
verhängt hatte, war klar, dass der Bischof von
Berlin im Ostteil residieren musste. War Bischof
Bengsch also ein Ost-Bischof?
Nein, Alfred Bengsch war weder ein politischer, noch
ein Ost-Bischof. Er war ein Bischof der Einheit. Der
Einheit des Bistums, der Einheit der Kirche und der
Einheit des Vaterlandes. Aber er wurde zum Ost-Bischof
gemacht, vor allem aus West-Berlin. Drei Tage
gestattete ihm die DDR-Regierung im Monat um im
Westteil der Stadt sein Amt zu verwalten, aber konnte
er an drei Tagen wirklich Einfluss nehmen? Keine
Verwaltung wo auch immer wird sich eine solche
Gelegenheit entgehen lassen und so war es nur eine
Frage der Zeit, wann sich, durch die Teilung der Stadt
begünstigt ganze Bereiche verselbstständigen
und an Bischofs statt regieren
würden. Vielleicht hat Bischof Bengsch in der
ersten Zeit seiner Amtszeit noch versucht, dem entgegen
zu wirken, aber es dauerte nicht lange, bis er vor der
Macht des Faktischen, die auch eine wirtschaftliche
war, zu resignieren begann. Er mischte sich kaum noch
in die Verwaltung ein und schien zufrieden, wenn ihm
keine politischen Knüppel zwischen die Beine
geworfen wurden. Die einflussreichen Kirchenleute in
West-Berlin, Priester wie Laien, dankten es ihm
dadurch, dass sie kritische und kirchenpolitisch
brisante Bereiche unter Kontrolle hielten: Schule und
Hochschule, theologische Diskussion, Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit und auch
Laienmitverantwortung.
Eine ehrenvolle Auszeichnung erreichte den jungen
Bischof, als Papst Johannes XXIII. ihn im November 1961
in die Zentralkommission für die Vorbereitung des
II. Vatikanischen Konzils berief. Es war
offensichtlich, dass der Papst die Stimme aus Berlin
bei der Erstellung der Konzilsvorlagen hören
wollte. Der inzwischen mit dem persönlichen Titel
eines Erzbischofs ausgezeichnete Bengsch beeindruckte
durch korrigierende Eingaben und er forderte für
die Vorlagen eine klare Sprachregelung der kirchlichen
Äußerungen, die sich nicht an politischen
Gepflogenheiten und Vorlieben auch des Kalten Krieges
orientieren dürften. Es ging dem Erzbischof vor
allem darum, den kommunistisch regierten Ländern
keine Gelegenheit zu geben, den Kirchenkampf neu zu
eröffnen oder zu verschärfen. Kein
Konzilsvater sollte nach der Rückkehr in sein
Bistum unter staatlichen Druck geraten können. Das
entsprach natürlich der eigenen Ost-Erfahrung: Der
Seelsorge die Priorität geben und politische
Abstinenz üben, solange nicht die Grundrechte des
Menschen angetas-tet werden.
Das Konzil war der Ausgangspunkt zahlreicher
internationaler Kontakte, die den späteren
Kardinal zum Teil auch im Auftrag des Papstes u.a. nach
Japan, Polen, die Tschechoslowakei, die UdSSR und
Litauen führten. Sie standen, wie auch
gelegentlich mögliche Gegenbesuche, für den
Kardinal unter der Aufforderung an Petrus: Du
aber stärke deine Brüder.
Dass Kardinal Bengsch viele Tage der Freude in seinem
Bistum erlebte, hat er selbst in großer
Dankbarkeit immer wieder bestätigt, nicht zuletzt
in seinem geistigen Vermächtnis kurz vor seinem
Tod. Daneben gab es auch schwere Tage und
Belastendes. Zwei für ihn besonders
schmerzliche Erfahrungen sollen hier - in sehr
verkürzter Form - ausdrücklich Erwähnung
finden:
Schon in der Beratungsphase hatte Erzbischof Bengsch
große Bedenken gegen die Pastoralkonstitutionen
über die Kirche in der Welt von heute
Gaudium et spes des Zweiten
Vatikanischen Konzils. Seine Bedenken, mit denen er
sich zwar nicht allein, aber in einer kleinen Gruppe
befand, galten vor allem jenen Textstellen, von denen
er glaubte annehmen zu dürfen, dass sie vor allem
von kommunistischen und anderen atheistischen
Regierungen zum Schaden der Kirche missbraucht werden
könnten. Seine Bedenken trug er bei jeder sich
bietenden Gelegenheit vor. In der Konzilsaula, bei
Pressekonferenzen und in der Deutschen
Bischofskonferenz. Als dann die Konstitution, wenn auch
in einigen Punkten verbessert, mit großer Mehrheit
vom Konzil angenommen wurde, schrieb Erzbischof Bengsch
am 22. November 1965 in tiefer Sorge einen
ausführlichen Brief an Papst Paul VI., in dem er
ihm die Gründe für seine Ablehnung der
Konstitution darlegte. Zu seiner großen
Überraschung bat ihn der Papst am 6. Dezember zu
einer Privataudienz, in der er den Papst noch einmal
beschwor, der Konstitution in dieser Form die
Zustimmung zu versagen. Er befürchtete Folgen in
den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang, wo die
Verteidigung der religiösen Werte der Kirche als
Widerstand gegen den gesellschaftlichen Fortschritt
gewertet würde. Es war umsonst.
Das zweite Ereignis war die Enzyklika Humanae
vitae - Über die Weitergabe des menschlichen
Lebens Papst Paul VI. und die darauf folgende
Königsteiner Erklärung
der Deutschen Bischofskonferenz. Die Erklärung
wies, nach heftigen Reaktionen der Deutschen Katholiken
und auch des Katholikentages in Essen auf die
Enzyklika, nach Bengschs Überzeugung den
Gläubigen einen Weg, wie sie, allein
ihrem Gewissen folgend, die Enzyklika umgehen
könnten.
Für Kardinal Bengsch war die Einheit der Kirche
ein hoher Wert, er wusste es aus eigener Erfahrung mit
der Kirche der DDR und in Osteuropa, und diese Einheit
war für ihn untrennbar auch eine Einheit mit dem
Papst. Unter Berufung auf das Konzil und seine
Dogmatische Konstitution über die
Kirche, (Wir können nicht, wie
es bisweilen geschieht, das Wort des Heiligen Vaters
von vornherein nur als irgendein Diskussionsbeitrag
ansehen), brachte er in mehreren Schreiben an
Kardinal Döpfner, den Vorsitzenden der Deutschen
Bischofskonferenz, seine Einwände vor. Da er
selbst nach dem Mauerbau nicht mehr an der Deutschen
Bischofskonferenz teilnehmen konnte, gab er dem ihn
vertretenen Generalvikar Walter Adolph seine
Stellungnahme mit, die dieser jedoch nicht weitergab:
Er wollte keinen Zwist mit Kardinal Döpfner
provozieren und außerdem hätten Fernsehteams
und Journalisten die Konferenz belagert und
Theologieprofessoren ihn bedrängt. So
verabschiedete die Konferenz die Erklärung, ohne
Kenntnis der Einwände von Kardinal Bengsch,
für den die Haltung Döpfners wie Adolphs eine
große menschliche Enttäuschung gewesen sein
muss.
Kurz nach der Königsteiner
Erklärung verabschiedete die Berliner
Ordinarienkonferenz für den Bereich der Kirche in
der DDR eine eigene Erklärung zu Humane vitae, die
sich deutlich von der Erklärung aus
Königstein unterschied. In einem Brief an Kardinal
Döpfner nach der Tagung in Königstein schrieb
Kardinal Bengsch: Ich fürchte, wenn wir
uns zu sehr winden und drehen und gegen den Papst
ausgespielt werden, dann wird genau das unsere
künftige Lehraufgabe sehr erschweren... Ich habe
auch um künftige Entscheidungen der
Bischofskonferenz Sorge, wenn die unleugbaren
Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Rom die
Bischöfe auf einen Weg drängen, dem die
öffentliche Meinung Klugheit und
Fortschrittlichkeit bescheinigt, der aber doch in der
Gefahr ist, das Lehramt an die Fachgremien
abzugeben.
Sprach da ein konservativer Bischof, gar ein
reaktionärer?
Beim Bistumstag 1966 in der Berliner Deutschlandhalle
sagte er über sich selbst: Mir soll es
gleichgültig sein, ob ein Theologe, der eine gute
Presse haben will,... mich als reaktionär
verschreit, oder ein Konzilsbericht meldet, dass ich
nicht einmal die Fragestellung der Konzilsdiskussion
über die Kirche in der heutigen Welt verstanden
hätte. Ich werde das alles eher ertragen, als dass
ein einziger junger Mensch in meinem Bistum mir
vorwerfen sollte, er wäre in die Irre gegangen,
weil ich zu feige gewesen wäre, das
unverkürzte Evangelium Gottes zu
predigen.
Nein, Kardinal Bengsch war kein politischer Bischof,
sondern ein Bischof der auch politisch Stellung bezog,
wenn es um die ihm anvertrauten Menschen ging. Und er
war kein Bischof des Ostens, sondern er war der Bischof
der Einheit.
Wir vermissen unsere Brüder aus dem
anderen Teil des Bistums, aber wir wissen uns zugleich
mit ihnen unlösbar verbunden. Es ist das Gesetz
des Leibes Christi, der Kirche, dass, wo ein Glied
leidet, alle leiden, und wo eines gestärkt wird,
alle gestärkt werden. Wenn sie im anderen Teil des
Bistums fest im Glauben stehen, dann kommt diese Kraft
auch Euch zugute. Und wenn Ihr aus lebendigem Glauben
tut, was hier zu tun ist, dann ist dies auch Trost und
Stärkung für die Brüder, sagte
er beim Bistumstag 1966 in der Waldbühne.
Und wie eine Mahnung bis in unsere Tage klingt der Satz
aus seinem Vermächtnis: Bewahrt die
Einheit des Bistums und steht in Treue zum Heiligen
Vater... den Christus zum Haupt seiner Kirche bestellt
hat.
Dieter Hanky
Nr. 49/99 vom 12. Dezember 1999
(C) by kkz
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