Das
waren Zeiten. Vor knapp 20 Jahren gab es noch
Überraschungen, bei denen die Herzen der Liebhaber
moderner Rock- und Popmusik höher schlugen. Manfred Mann
war es, der sein Band-Mitglied Matt Irving mit einem
professionellen Tape-Recorder ausrüstete und in den
afrikanischen Busch schickte. Die Bänder, die Irving mit
eingeborenen Musikern aufnehmen konnte, wurden dann in das
Erfolgsalbum „Somewhere in Afrika“ der
Manfred Mann’s Earth Band integriert. Ja, sie
bildeten sogar den wesentlichen Teil dieser Platte, die unter
Kennern als Geburtsstunde der heute so bezeichneten
„Weltmusik“ gilt. Andere, in Europa und
den USA erfolgreiche Musiker, etwa Paul Simon und Peter
Gabriel, waren von dem neuartigen Sound begeistert und
versuchten ebenfalls, afrikanische, asiatische und
lateinamerikanische Rhythmen und Melodien in ihre eigene
Musik zu integrieren. Paul Simons Album
„Graceland“ erreichte weltweiten
Kult-Status. Der Ex-Sänger der legendären Band
„Genesis“, Peter Gabriel, ging sogar noch
einen Schritt weiter. Nach seiner Trennung von
„Genesis“ und der Produktion zahlreicher
Solo-Alben gründete er das Weltmusik-Label
„RealWorld“. Unter besten technischen
Bedingungen haben seither Musiker aus der ganzen Welt die
Möglichkeit, ihre eigene, aus kommerzieller Sicht oft
uninteressante Musik aufzunehmen, zu produzieren und auf CD
zu veröffentlichen. Und was auf diese Weise den Weg in
die europäischen und amerikanischen Plattenläden
gefunden hat, braucht weder den musikalischen noch den
professionellen Vergleich zu scheuen. Weltmusik gibt
Einblicke in fremde Kulturen und erweitert das westliche
Hörempfinden um ungezählte wertvolle Impulse.
In einen 17 Meter langen Truck, der die Stellfläche von
sechs hintereinander aufgereihten Mittelklasse-PKW
benötigt, ist die Ausstellung „Masala - More
than Music“ integriert. Erstmalig ist es dem
ökumenischen „INKOTA-netzwerk“ in
Berlin gelungen, diese Ausstellung in die Hauptstadt zu
holen. „Wir möchten über die Wurzeln der
Weltmusik, über ihre Vielfalt, ihre kulturelle Herkunft,
aber auch über die Gefahr ihrer Kommerzialisierung
informieren“, erklärt Organisator Berndt
Hinzmann.
Hass gegen Andersartige und Fremde, gewalttätige
Übergriffe und Angriffe auf Ausländer seien Themen,
die die Medien in den letzten Jahren immer häufiger
aufgegriffen haben, so Hinzmann weiter.
„Grenzöffnung innerhalb Europas und
Abschottung gegenüber dem Rest der Welt stehen einander
gegenüber. Das ’europäische
Haus’ soll gebaut werden, gleichzeitig führen
Fluchtbewegungen zu veränderten Sichtweisen von Nord,
Süd, Ost und West. In unterschiedlicher Weise ist dieses
Thema in der entwicklungspolitischen Szene gerade auch im
Osten immer wieder aufgegriffen worden“, betont
er.
Ihm und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus
zahlreichen Eine-Welt-Projekten sowie evangelischen und
katholischen Kirchengemeinden stellen sich häufig solche
Fragen: „Doch was wissen die meisten Menschen in
unserem Kulturkreis wirklich von den Menschen in anderen
Ländern und Kulturen? Wie kann sich gegenseitiges
’Fairständnis’ entwickeln, wenn
gegenseitiges Wissen voneinander nur gering
ist?“
Die engagierten Frauen und Männer sind sich in einem
Punkt einig: Musik bietet eine hervorragende Chance,
Brü-cken zu bauen. Musik ist eine Sprache, eine
Verständigungsmöglichkeit über Grenzen hinweg.
Musik ist vor allem für Jugendliche eine Form, um ihrem
Interesse, ihrem Unmut, ihren Protest, ihren Wünschen
eigenen Ausdruck zu geben.
Berndt Hinzmann: „Protest und Widerstand haben sich
immer schon in der Jugendbewegung wiedergefunden. In anderen
Ländern und Kulturen ist dies ebenso. Weltweit ist Musik
nicht nur identitätsstiftend sondern auch
Lebensausdruck. In der jeweiligen Musik spiegelt sich das
Lebensgefühl der Zeit und des Landes. Und immer war
Musik ein Sprachfenster in Gesellschaften, die ihre
Bevölkerung politisch entmündigen wollten. Protest
und Widerstand innerhalb der verschiedensten Gesellschaften
haben ihre eigene Musik. Jederzeit ist Musik offen für
Entwicklung und Prozesse der Veränderung.“
Der Begriff „Weltmusik“ ist in den Medien
nicht mehr unbekannt. Vor Jahren war Weltmusik nur ein
Insiderbegriff, und Namen wie Youssou N’ Dour und
Ladysmith Black Mambazo waren für viele nur Schall und
Rauch. Heutzutage ist mit „Weltmusik“
nicht nur ein neuer Trend und Erfolg gekennzeichnet, sondern
auch ökonomisch ist sie ein Kassenschlager. Auf diese
Entwicklung möchte die Ausstellung auch aufmerksam
machen und nachdenklich stimmen. „Es sind
häufig die Verleger der großen Plattenfirmen, die
den finanziellen Erfolg einstreichen”, sagt
Hinzmann.
Nach Auffassung der Ausstellungsmacher muss sich
„Weltmusik“ heute allerdings auch fragen
lassen, ob sie nicht häufig die Vermarktung und
Kommerzialisierung der letzten Ressourcen, beispielsweise der
indigenen Völker und Kulturen, darstellt. „Von
Kulturaustausch kann da häufig nicht die Rede sein.
Sondern vielmehr von Kulturraub zum Nulltarif!“ Was
empfinden Menschen, wenn sie ihre tibetanische Obertonmusik
mit Disco- und Techno-Sounds unterlegt hören? Wie weit
sind Reggae und Hip-Hop noch Musikstile des Protestes und der
Emanzipation einer farbigen Minderheit? Haben
Vermarktungsstrategien die eigentlichen Wurzeln schon
herausgerissen? Diese und andere Fragen werden in der
Ausstellung thematisiert.
Die Erlebnisausstellung „Masala - More than
Music“ will vor allem für Jugendliche und
junge Erwachsene globale Zusammenhänge aufzuzeigen.
Begleitend werden Projekteinheiten für Schulklassen und
andere Gruppen angeboten (siehe nebenstehenden Kasten). Bernd
Hinzmann: „Neugierige und Interessenten sind
herzlich eingeladen!“
Besichtigungen sind möglich vom: 20.
bis 24. März, 9.30 bis 17.00 Uhr. Ort:
Pistoriusplatz
in Berlin-Weißensee.
Thomas Steierhoffer
Nr.12/00 vom 19. März 2000
(C) by kkz
Die ganze Weltmusik in
einem Erlebnisausstellung und Projekttage „Masala - More than Music“ erstmalig in Berlin-Weißensee |