Den Weg nach Europa mutig
weitergehen
Ministerpräsident von
Thüringen, Bernhard Vogel, sprach trotz gespannter
Lage
in seiner Partei im „Forum
Theresienschule“
Berlin - Misstrauische Zungen konnten sich im
Vorfeld des vierten „Forums
Theresienschule“ die Frage nicht verkneifen:
„Ob er wohl kommen wird?“ „Muss der
denn angesichts von Spendendschungel und
Führungsstreit innerhalb der CDU keine
bedeutenderen Aufgaben angehen?“ war zu
hören. Doch spätestens beim Anblick der
dicken Daimler-Limousine mit Erfurter Kennzeichen, die
auf dem Schulhof der Thersienschule geparkt war, wurden
vermeintliche Zweifel zerstreut. Er war
tatsächlich angereist. Den bereits im Dezember
1999 zugesagten Termin in der Katholischen
Theresienschule wollte sich der Ministerpräsident
von Thüringen, Bernhard Vogel (CDU), nach eigenen
Worten nicht entgehen lassen. Er sei „ein Freund
der Privatschulen“, bekannte Vogel am vergangenen
Montag in der dicht gefüllten Aula des
katholischen Gymnasiums in Berlin-Weißensee. Und
er präzisierte seine Aussage: „Ich bin ein
Freund kirchlicher Privatschulen. Aber nur dann, wenn
diese Schulen ein anderes Profil entwickeln als die
staatlichen Schulen.“ In einem freien Staat, so
Vogel weiter, müsse die Kirche den Mut aufbringen,
„staatlichen Schulen Konkurrenz zu machen“.
Dass dies an der Theresienschule auch und gerade
über die Jahrzehnte der SED-Diktatur der Fall war,
und dass hier heute - unter neuen Vorzeichen - eine
„eigenständige Pädagogik“ gemacht
werde, freue ihn außerordentlich, bemerkte der
Politiker strahlenden Gesichts.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer - unter ihnen
auch Schulamtsleiter im Erzbischöflichen
Ordinariat Hans-Peter Richter und Schulpfarrer Ulrich
Bonin - waren so zahlreich erschienen, dass selbst die
in einer Ecke bereitgehaltenen Reserve-Stühle
nicht ausreichten. Und so musste ein guter Teil der
Zuhörerschaft dem Vortrag Vogels stehend
lauschen.
Der Ministerpräsident referierte über Europa
unter dem Thema: „Europa - aber wo liegt
es?“ Vogel rief die junge Generation auf, den
eingeschlagenen europäischen Weg mutig
weiterzugehen. Gerade in den neuen Bundesländern
dürfe der Blick auf die osteuropäischen
Nachbarn nicht ermüden. Zwar sei Europa
geographisch einigermaßen klar abgrenzbar. Vom
Nordkap bis Sizilien, vom Atlantik bis zum Ural. Doch
angesichts massiver globaler Veränderungen
genüge diese Aussage den Anforderungen der Zeit in
keiner Weise. Nach Vogels Worten müsse das
Bewusstsein geschärft werden, alle demokratischen
Staaten innerhalb der geographisch markierten Grenzen
gehörten zu Europa. Und dies seien weitaus mehr
Länder als die bislang 15 Mitglieder der
Europäischen Union (EU), die Vogel als dringend
veränderungs- und ausbauwürdiges politisches
Gebilde charakterisierte. „Die neuen
Bundesländer haben heute eine
Brü-ckenfunktion nach Osten. Ja, sie sind
prädestiniert, den Brückenschlag nach
Osteuropa zu vollziehen“, rief der
Ministerpräsident seinem Auditorium zu. In dieser
für das zukünftige Europa bedeutsamen
Ausgangsposition komme den Menschen in Ostdeutschland
ihre Kenntnis der slawischen Sprachen, insbesondere des
Russischen, zugute. Vogel sehe darin eine Chance, die
vergleichbar sei mit der Chance westdeutscher
Länder nach dem Zweiten Weltkrieg. Von hier sei
die Versöhnung mit den französischen Nachbarn
vorangetrieben worden. „Die Kenntnis der
französischen Sprache war damals
Voraussetzung.“ Angesichts des massiven
Wohlstandsgefälles zwischen europäischen
Nachbarn diesseits und jenseits der
Oder-Neiße-Grenze werde das wirtschaftliche
Zusammenwachsen Europas sicher noch geraume Zeit
benötigen. Doch komme es heute darauf an, die
Hoffnungen und Erwartungen der Menschen in Polen,
Tschechien, Ungarn oder Slowenien nicht zu
enttäuschen. Er freue sich, so Vogel, dass nach
einer Phase der „verständlichen
Zurückhaltung“ jetzt auch wieder Russisch
als Fremdsprache an der Katholischen Theresienschule
angeboten werde.
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