Interview: Thomas Steierhoffer

 Nr. 15/00 vom 9. April 2000
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Einen Schritt davor setzen

Im Sommer 1999 erhielt Schwester Monika die
Betriebsgenehmigung für das „Kinderhaus Sonnenblume“ im brandenburgischen Schönow. Ursprünglich wollte sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier für Findelkinder da sein. Wir sprachen mit Schwester Monika über die Entwicklung des Hauses, über seine Angebote und Perspektiven


Frage: Schwester Monika, im Sommer 1999 wurde Ihr Haus in Schönow offiziell eingeweiht. Ursprünglich wollten Sie hier für Findelkinder ein Zuhause schaffen. Wie hat sich das Projekt „Kinderhaus Sonnenblume“ seither entwickelt?
Schwester Monika: Im Juli 1999 haben wir die Betriebsgenehmigung als Mutter-Kind-Einrichtung bekommen. Im Nachhinein bin ich ganz froh, dass wir heute eine Mutter-Kind-Einrichtung und kein Haus für Findelkinder geworden sind. Ich merke jetzt, dass wir noch einen Schritt davor setzen können. Die Mutter muss ihr Kind nicht vor die Tür legen. Wir nehmen heute schwangere Frauen auf, die entscheidungsunsicher sind, ob sie ihr Kind überhaupt behalten sollen oder nicht. Wir nehmen auch Frauen mit Neugeborenen auf und natürlich ungewollte Kinder. Ich sage nicht so gerne „Findelkinder“, sondern lieber „ungewollte Kinder“.

Frage: Wie finanziert sich das Projekt?
Schwester Monika: Theoretisch gibt es eine Mischfinanzierung. Das bedeutet, dass wir vom Jugendamt Gelder für die Frauen bekommen, die nicht anonym bleiben möchten. Da jedoch der größte Teil der Frauen, die zu uns kommen, anonym bleiben wollen - und das verstehe ich durchaus, da es sich hier um unser großes Angebot handelt, die Frauen anonym aufzunehmen - können wir für diese Frauen natürlich keine Gelder einfordern. Ich merke zunehmend, dass bei uns alles mit der Anonymität steht und fällt. Und deshalb ist es von existenzieller Bedeutung, dass es uns gelingt, unser Angebot über Spendengelder zu erhalten und zu finanzieren.

Frage: Sehen Sie das „Kinderhaus Sonnenblume“ als Zwischenlösung für Frauen und ihre Kinder, oder handelt es sich hier um eine alternative Lebensform?
Schwester Monika: Wir nehmen die Frauen und die Kinder so lange bei uns auf, bis eine richtige Lösung für sie gefunden ist. Und diese Lösung ist immer ganz individuell. Das sieht bei jeder Frau ganz anders aus. So haben wir mit einer Frau ausgemacht, dass sie ein Jahr bei uns bleibt. Es zeigt sich jetzt, dass sie nicht in eine Wohnung kann. Sie kann nicht selbstständig mit dem Kind leben. Wir recherchieren, in welcher anderen Einrichtung wir sie unterbringen können. Wir haben auch illegale Frauen hier, die gar keine Möglichkeit haben, offiziell irgendwo zu entbinden. Sie haben bei uns die Chance, unterzutauchen und ihr Kind zur Welt zu bringen. Und dann überlegen wir gemeinsam, wie die Probleme gelöst, die Alltagsdinge geregelt werden können. Und wir haben auch ein Kind hier, das von seiner Mutti bei uns abgegeben wurde. In diesem Fall laufen gerade die Verhandlungen, was mit dem Kind weiterhin geschehen kann.

Frage: Habe ich das richtig verstanden, dass Sie auch eine Art Entbindungsstation sind?
Schwester Monika: Bevor eine Frau ihr Kind auf einer öffentlichen Toilette oder im Park entbindet, kann sie das viel besser auch bei uns tun. In unserem Verein arbeitet Gott sei Dank auch eine Gynäkologin, die uns dann zur Seite stehen würde. Hier im Haus hat es bislang noch keine Geburt gegeben. In einem konkreten Fall konnten wir ein kirchliches Krankenhaus finden, in dem wir die schwangere Frau völlig unbürokratisch und anonym unterbringen konnten. Dafür bin ich sehr dankbar.

Frage: Wieviele Frauen und Kinder leben zur Zeit bei Ihnen?
Schwester Monika: Wir haben drei Plätze für Mutter und Kind, und die sind auch belegt. Es haben sich zwei Bereiche herausgebildet. Einmal die Frauen, Mütter und Kinder, die hier leben, und andererseits viel mehr Frauen, die telefonisch, brieflich oder auch persönlich ambulanten Kontakt mit uns haben. Sie suchen Rat und Hilfe und erzählen von ihren persönlichen Schicksalsschlägen.

Frage: Vor kurzem wurde in den Medien von der Hamburger „Baby-Klappe“ berichtet. Was hat es damit auf sich?
Schwester Monika: Für mich ist das erstmal ganz erstaunlich. Als ich das Thema „Findelkinder in Deutschland“ angesprochen habe, wurde immer wieder abgewehrt. Mittlerweile gibt es bundesweit so viele Fälle, dass dieses traurige Thema auch in den Medien Niederschlag fand. Nachdem wir in Schönow die Betriebsgenehmigung hatten, waren die Hamburger auch bei uns. Wir haben uns über unsere Erfahrungen ausgetauscht. In dieser Woche wird die „Baby-Klappe“ in Hamburg eröffnet. Das Anliegen dort ist genau wie bei uns: Leben schützen, Leben retten. Und das geht auch dort immer nur anonym. Es muss diese anonymen Angebote geben, sonst werden weiterhin ungewollte Kinder getötet.

Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zum Caritasverband?
Schwester Monika: In der Brandenburger Caritas hatten und haben wir große Hilfe. Dafür bin ich sehr dankbar. Bei allen Verhandlungen mit den zuständigen Stellen im Land Brandenburg war die Caritas immer dabei.

Frage: Wenn Pfarrgemeinden konkrete Informationen über Hilfsprojekte bekommen, ist die Spendenbereitschaft der Katholiken im Erzbistum Berlin sehr groß. Wie erleben Sie das?
Schwester Monika: Ich bin erstaunt und erfreut zugleich, wieviele Gemeinden sich für unser Projekt engagieren. Gerade in der Fastenzeit erleben wir es häufig, dass sich verschiedenste Gruppen aus Gemeinden bereitfinden, sammeln und spenden. Ich erlebe es immer wieder, dass die Leute, wenn sie konkret wissen, wohin ihr Geld geht, enorm spendenfreudig sind.

Frage: Sie haben ein lockeres Verhältnis zu Journalisten. Waren es gute Erfahrungen mit den Medien, die Sie bislang machen konnten?
Schwester Monika: Wir haben gerade in der letzten Zeit sehr unterschiedliche Erfahrungen mit den Medien gemacht. Aus der heutigen Sicht würde ich mir wünschen, dass manche Privatsender oder Zeitungen nicht hier gewesen wären. Viele Dinge wurden entstellt berichtet. Und häufig wurde die von uns so dringend angemahnte Ano-nymität der Frauen und Kinder missachtet. Für mich bedeutet das, dass diese Leute nicht mehr ins Haus kommen.

 

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