Vor 25 Jahren starb Prälat Walter Adolph
Die Uraufführung des
„Stellvertreters“ mit Dieter Borsche in
der Hauptrolle im Jahr 1963 war wie ein Lawinenabgang.
Erdrutschartig verschoben sich die Nachkriegsurteile
über Pius XII. und die deutschen Bischöfe. Fast
über Nacht wurden Papst und Episkopat im ehemaligen
„Großdeutschland“ zu
Hauptangeklagten wegen ihres Verhaltens zur
Judenverfolgung.
Der erste, der sich damals mit einer sachlich
begründeten Gegenposition in der Öffentlichkeit zu
Wort meldete, war der Berliner Generalvikar Walter Adolph. In
mehreren Nachtschichten, für den Nachtarbeiter Adolph
allerdings nichts Ungewöhnliches, schrieb er eine
umfangreiche Erwiderung für die um mehrere Seiten
erweiterte Bistumszeitung „Petrusblatt“.
Er konnte sich dabei auf zahlreiche unveröffentlichte
Dokumente stützen. Als kirchenpolitischer Berater von
Bischof Preysing hatte er sie über die Kriegswirren
gerettet. Außerdem standen ihm zahlreiche Papiere mit
persönlichen Notizen zur Verfügung. Letztere sind
1979 postum unter dem Titel „Geheime Aufzeichnungen
aus dem nationalsozialistischen Kirchenkampf
1935-1943“ wissenschaftlich bearbeitet und
veröffentlicht worden. Für die prompte Reaktion in
der Hochhuth-Kontroverse war Adolph durch seine Biographie
tatsächlich wie kein anderer gerüstet.
Im tiefen Kreuzberg im Berliner Südosten 1902 geboren,
hatte Adolph alles andere als eine sonnige Jugend. In dem
autobiographischen Roman „Einer aus der Lausitzer
Straße“ hat er später seine Kindheit
inmitten von Mietskasernen, von lichtlosen Hinterhöfen
und Arme-Leute-Sorgen beschrieben. Heimatboden des Glaubens
war die Liebfrauenkirche, später mehr noch der
Religionsunterricht bei Pfarrer Kaller, dem späteren
Bischof von Ermland. Hier wuchs die bedingungslose Liebe zur
Kirche und sein kämpferisch-apologetischer Grundzug.
Geprägt haben Adolph nach der Pries-terweihe 1927 zwei
Persönlichkeiten, denen er sich lebenslänglich
verbunden wusste: sein erster Pfarrer Dr. Karl Pelz
(†1962) und der Vorsitzende der Katholischen Aktion
Dr. Erich Klausener (†1934). Der Pfarrer von St.
Augustinus blieb ihm väterlicher Ratgeber und
später auch Beichtvater, als sich der junge Priester
durch persönliche Schwierigkeiten hindurchkämpfte.
1930, also unmittelbar nach der Bistumsgründung, wurde
Adolph geistlicher Sekretär der katholischen Aktion.
Zusammen mit Dr. Klausener, der von seinem Temperament im
Umgang nicht immer ganz einfach war, versuchte er, die
Diasporakirche in der Berliner Öffentlichkeit
präsent zu machen. Die Schüsse des SS-Kommandos am
30. Juni auf Dr. Klausener forderten das erste Blutopfer im
Bistum Berlin und beendeten die längst harmonisch
gewordene Arbeit der beiden so unterschiedlichen Männer.
Adolph hat 1955 Dr. Erich Klausener mit einer Biographie ein
Denkmal gesetzt.
Mit dem Tod von Dr. Carl Sonnenschein 1929 hatte das
Katholische Kirchenblatt an Niveau und Resonanz verloren. Um
die Stimme des Berliner Katholizismus wieder hörbar zu
machen, wurde dem dreißigjährigen Adolph
zusätzlich die Chefredaktion übertragen.
Gestützt auf hervorragende Mitarbeiter wie Alfons Erb
und Ernst Thrasolt begann er die Auseinandersetzung mit der
Rasse-Blut- und Boden-Ideologie. Kein Wunder, dass dabei
seine Aufgabe als Leiter der Fachschaft der katholischen
kirchlichen Presse in der von Goebbels gesteuerten
Reichspressekammer kaum mehr als ein Intermezzo geblieben
ist.
Als der Eichstätter Bischof Preysing 1935 an die Spree
umziehen musste, begann für Adolph ein neuer
Lebensabschnitt. Der feinsinnige, introvertierte Aristokrat
Preysing und der Ur-Berliner aus Kreuzberg, der den deftigen
Jargon seiner Heimatstadt liebte, waren große
charakterliche Gegensätze. Aber sie trafen sich im
kompromisslosen Nein zum braunen Weltanschauungsstaat. An
Preysings Seite, der im Kirchenkampf immer für die
Vorwärtsverteidigung eintrat und dadurch zum
Gegenspieler des Breslauer Kardinals Bertram wurde, wuchs der
„homo politicus“ Adolph. Er übernahm
Kurierfahrten zu Bertram, erarbeitete kirchenpolitische
Analysen, schrieb Entwürfe für kirchliche und
staatliche Stellen und wurde zum Ratgeber des Bischofs. Als
politisch Denkender ist er auch später nie der Gefahr
des Sakristeichristentums erlegen. So hat er als Kommentator
im „Petrusblatt“ die Auseinandersetzung
mit dem SED-Staat geführt. Den Vorwurf des
Antikommunismus nahm er dabei gelassen hin. Ebenso hat er als
Generalvikar in stundenlangen Verhandlungen mit Willy Brandt
und dessen Nachfolger Klaus Schütz die
„Protokolle“ ausgehandelt, die 1970 das
Staat-Kirche-Verhältnis in Berlin (West)
konkordatsähnlich ordneten.
Kurz vor Ausbruch des Zeiten Weltkriegs wurde Adolph Pfarrer
in Adlershof. Trotz des Seelsorgealltags blieb der enge
Kontakt zu Preysing bestehen. Seiner Neigung zur
schriftlichen Reflexion entsprechend legte er in der
Adlershofer Zeit auf eine informative Pfarrchronik
großen Wert. Sehr persönlich notierte er
beispielsweise über die letzten Kriegstage:
„Obwohl seit Wochen an den Panzersperren auch in
Adlershof gebaut wurde, hatte ich noch die Hoffnung, dass der
verbrecherische Wahnsinn, eine Schlacht über Berlin
kommen zu lassen, durch ein gütiges Geschick verhindert
würde. Die Frage, ob die Amerikaner und Engländer
oder die Russen nach Berlin kämen, erhielt ihre
wahrscheinliche Antwort durch den Beginn der russischen
Offensive in den Morgenstunden des 16. April. Um halbvier Uhr
wurden wir im Pfarrhaus durch den Donner des Trommelfeuers
wach, der von der Küstriner Gegend zu uns
herüberklang.“
Wenige Monate nachdem die Reichshauptstadt kapituliert hatte,
erhielt der soeben zum Domkapitular ernannte Adolph den
Auftrag, die katholische Presse wieder aufzubauen. Bei der
Übergabe der Redaktion, die bereits am 29. Mai
schriftlich erfolgte, umriss Preysing die Aufgaben des neuen
Kirchenblattes, das dann erstmalig am ersten Adventssonntag
1945 erschien: „1. Die katholische Glaubens- und
Sittenlehre in populärer Form darzustellen, wie es auch
das unterdrückte Kirchenblatt getan hat. 2. Den Kampf
gegen die antichristlichen Ideen zu führen, mit denen
der Nationalsozialismus insbesondere durch seine Rassenlehre
die Menschen verführt hat.“ Dieser
kämpferische Akzent verbot von Anfang an jede
„Hofberichterstattung.“
Von seiner Neuköllner Wohnung aus redigierte Adolph das
neugegründete „Petrusblatt“ und
leitete den von den Amerikanern lizenzierten Morus-Verlag.
Wie Preysing sah er darin eine pastorale Hilfe für die
sowjetisch besetzte Zone. Aber der dort ungeliebte Verlag sah
sich bald auf die Grenzen des Bistums Berlin und dann auf
West-Berlin beschränkt. Kardinal Preysing und andere
Autoren schrieben für den finanziell nie auf Rosen
gebetteten Verlag. Auch Adolph trug mit mehreren Titeln zum
Verlagsprogramm bei, darunter „Im Schatten des
Galgens“ zum Gedächtnis der Blutzeugen der
NS-Zeit, später dann „Verfälschte
Geschichte“, „Hirtenamt und
Hitlerdiktatur“ und „Kardinal Preysing
und zwei Diktaturen“.
Die Erinnerung an die Blutzeugen während des NS-Regimes
sollte aber nicht allein durch Publikation wachgehalten
werden. Es gelang Adolph, die Bischöfe Weskamm und
Döpfner für den Plan einer Gedenk-Kirche in der
Nähe der ehemaligen Hinrichtungsstätte
Plötzensee zu gewinnen.
Inzwischen hatte sein schwierigster Lebensabschnitt begonnen.
Er war wenige Tage nach dem Mauerbau zum Generalvikar ernannt
worden und zugleich zum ständigen Vertreter des Bischofs
in der Deutschen Bischofskonferenz. Die Probleme der
geteilten Stadt und des zerrissenen Bistums
überschatteten die nächsten Jahre. Wie Kardinal
Döpfner war auch Adolph anfänglich der Meinung, der
Ost-West-Konflikt mache eine begrenzte Selbständigkeit
der Kirche in West-Berlin wünschenswert. Nur so
könne vermieden werden, dass die kritische Stimme der
katholischen Kirche in der Gesellschaft der geteilten Stadt
teilweise verstummen muss. Da Bischof Bengsch jedoch
beharrlich an der Bistumseinheit festhielt, stellte sich der
Generalvikar bald ebenfalls auf diesen Standpunkt. Adolph war
ein viel zu tief im kirchlichen Gehorsam verwurzelter Mann,
als dass er sich prinzipiell gegen seinen Bischof gestellt
hätte. Der Ausbau des katholischen Schulwesens, das
Exerzitienhaus in Kladow und Neubauten des Petruswerkes
fallen in seine Amtszeit bis 1969.
Sicher, Adolph war nicht immer bequem, weder als Generalvikar
noch in seinen letzten Lebensjahren. Er konnte spontan
reagieren, auch lautstark, und beißenden Spott
ausgießen. Aber das war nur die eine Seite. Hinter der
rauhen Schale kam oft auch der persönlich
mitfühlende Mensch zum Vorschein, der
verständnisvolle Helfer in Konfliktsituationen. Wer
einmal Zielscheibe seiner harten Attacken gewesen ist, konnte
wenig später einen um Wiedergutmachung und
Versöhnung bemühten Priester erleben.
Die letzten Lebensjahre waren weiter bestimmt von
schriftstellerischen Arbeiten für das
„Petrusblatt“, den
„Petrus-Kalender“ und das
„Wichmann-Jahrbuch“. Seine letzte
größere Arbeit zum Thema „Adolf Hitlers
religiöse und sittliche Entwicklung und die
Folgen“ blieb unvollendet. Er starb plötzlich
am 25. April 1975 wie er gelebt hat: an seinem Schreibtisch
zwischen Büchern, Aufzeichnungen und Notizen. Das
aufgeschlagene Brevier lag neben ihm. Er fand auf dem St.
Hedwigs-Friedhof in Berlin-Reinickendorf seine letzte
irdische Ruhe. Man muss ihn zu den herausragenden Miterbauern
des Bistums zählen.
Wolfgang Knauft
Nr. 17/00 vom 23. April 2000
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