Interview: Thomas Steierhoffer

Nr. 20/00 vom 14. März 2000
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Die Magie
des blauen Lichtes

Günter Ries macht aus einem Bau-Container ein begehbares Kunstwerk. Auf dem Hamburger Katholikentag wird die Berliner Initiative
erstmalig zu sehen sein. Wir sprachen mit dem Künstler über seine Ideen


Frage: Herr Ries, Sie haben den Auftrag, das Erzbistum Berlin in künstlerischer Form auf dem Hamburger Katholikentag zu präsentieren. Wie sind Sie zu dem Auftrag gekommen?
Ries: Das hat sich eigentlich aus dem Projekt „Sehnsucht - Kathedrale im Licht“ ergeben. Die Lichtinstallation umhüllte die Berliner Bischofskirche, die St. Hedwigs-Kathedrale, in den Nächten von Weihnachten bis Dreikönig mit einem hoheitsvollen blauen Lichtmantel. Damals gab es bereits eine gute Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten des Erzbistums, Dr. Christine Goetz. Im Diözesanrat der Berliner Katholiken entstand der Wunsch, sich mit einer künstlerischen Arbeit auf dem Katholikentag in Hamburg zu präsentieren. Die Arbeitsgruppe des Diözesanrates hat mich dann mit dem Projekt beauftragt.

Frage: Worum handelt es sich bei Ihrem Projekt?
Ries: Die erste Idee kam aus der Arbeitsgruppe selbst. Der Pressesprecher des Erzbistums, Andreas Herzig, hatte die Intuition, mit einem Bau-Container etwas zu machen. Ein Bau-Container, monolithisch und schwer, direkt und real - ein Objekt des Alltags, das man auf den Straßen sieht. Bau-Container überall, im ganzen Gebiet des Erzbistums Berlin - in der neuen Hauptstadt stapeln sie sich unübersehbar, aber auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern prägen sie Stadt und Land. Der Bau-Container als Realität und als Symbol: für das Neue und das Harte, für das Lastende und Schwere, aber auch für den Aufbruch und den Aufbau. So könnte man die erste Aussage, den ersten Ansatz bezeichnen. Ich habe die Idee dann sofort begeistert aufgenommen und das Konzept einer Licht-Klang-Installation entwickelt.

Frage: Was werden die Katholikentags-Besucher erleben?
Ries: Der Container entwickelt seine Wirkung zunächst von außen, als blauer Monolith. Die Außenwände bleiben in ihrer ursprünglichen funktionalen Form erhalten, lediglich ein wertvolles Ultramarin-Pigment wird sie in ein tiefes, blaues Leuchten hüllen. Die Erscheinung des Containers wird sich dadurch sehr verändern. Der Besucher wird spüren, dass hier durch die sehr hochwertige Oberflächenmaterialität, anstelle der normalen Lackfarbe, eine ganz eigene Aura entsteht.
Das Innere des Containers ist begehbar. Innen eine überraschende und unerwartete Gegenwelt: Weite (obwohl der Raum klein ist), Offenheit, Komplexität, ein unendlich gespiegelter Raum, auch die Aura des Technischen und eine gewisse Kühle. Der Container ist ein begehbarer Schrein. Er muss vom Menschen betreten werden, um seinen Sinn zu entfalten. Die aktive Mitwirkung der ihn betretenden Menschen ist die Voraussetzung, dass sein Inneres lebt, erwärmt und aktiviert wird. Das ist der zentrale Gedanke des Projekts.

Frage: Woher kommt Ihre offensichtliche Vorliebe für die blaue Farbe?
Ries: Ich habe dieses Blau direkt zur blauen Lichtaura meiner Lichtinstallation an der St. Hedwigs-Kathedrale in Beziehung gesetzt. Durch diese Variation der Farbe Blau erreichen wir eine Verbindung von Berlin nach Hamburg. Blau ist wohl eine der geheimnisvollsten Farben. In vielen Kulturen ist Blau neben dem Gold immer auch eine sehr wichtige Farbe gewesen. Man denke nur an das berühmte Lapislazuli der Ägypter. Ursprünglich wurde das Ultramarinblau in der Antike aus dem sehr wertvollen Edelstein Lapislazuli gewonnen. Die häufigsten Fundstellen waren „Ultramarinum - jenseits des Meeres“. Daher der Name Ultramarinblau.
Möglicherweise bezieht das Blau seine Faszination aus dem Umstand, dass es dem gelbweißen Farbspektrum unseres Sonnenlichts komplementär entgegengesetzt ist. Das lebenswichtige Sonnenlicht ist für uns die lebensspendende Lichtquelle. Unsere Psyche setzt das gleich mit dem Empfinden für Lebenswärme, Harmonie und Geborgenheit. Blau dagegen ist kalt, fremd, wie das Licht einer fremden Sonne, geheimnisvoll, exotisch und unergründlich. Blau ist auch die Farbe des Geistigen im Menschen, der Meditation, der Spiritualität, der Dinge, die über unser irdisches Dasein hinausgehen ins Unendliche. Wie das Blau des Himmels, der sich an der Grenze der Erde im Übergang zum Universum befindet. Transzendenz ist das Überschreiten dieser Grenze von Erfahrung und Bewusstsein. Die Vibration der Seele geht bei der Farbe Blau in die innere Tiefe. Im Musikalischen entspricht das Blau dem tiefen feierlichen Klang der Orgel, wie Kandinsky sagt.

Frage: Wie sieht es im Inneren des Containers aus?
Ries: Die Türen des Containers sind geöffnet. Im Inneren wird es eine Licht-Installation geben. Die Wände des Containers sind mit Spiegeln und einer speziellen Nachleuchtfolie verkleidet. In der szenischen Dramaturgie wird eine Spannung erzeugt von einem grellen gleißenden Licht der drei außergewöhnlichen, computergesteuerten MHD-Scheinwerfer bis zu einem ganz dämmrigen blauen Leuchten einer Säule. Die Besucher und der Raum reflektieren sich in den Spiegeln, und viele Bedeutungsebenen werden wahrnehmbar: Der Spiegel als Medium der Erkenntnis und der Reflexion, der Eitelkeit und der Befangenheit, der Gegenwart und der Ewigkeit. Der Mensch im Spiegel seiner selbst.
Die Nachleuchtfolie hat eine ganz besondere Wirkung. Sie sammelt das Licht. Wenn aber jemand vor dieser Folie steht, zeichnet sich sein Schatten ab, und dieser Schatten bleibt minutenlang erhalten, wenn plötzlich das Licht verschwindet. Die Folie leuchtet im Dunkeln sehr stark und der Schatten des Besuchers zeichnet sich deutlich ab, wie sein zweites Wesen, zeigt den Menschen als Licht-Schatten-Form in seiner Vergänglichkeit.

Frage: Sie sprachen vorhin von Licht-Klang-Installation. Wo bleibt der Klang?
Ries: Zu den visuellen Eindrücken gesellt sich die Klang-Ebene. Zu hören sind menschliche Stimmen, die immer nur die stereotypen Worte Null - Eins sprechen. Dieses monotone 0 - 1 ist sozusagen die Basis der Computersprache. Die Variation wird über die Stimmodulation erreicht. Es gibt weibliche, männliche, junge, alte, leise, laute, harte, weiche, helle, dunkle Stimmen. Sie sind einzeln hörbar oder werden gemischt, übereinandergelagert zu einem großen Chor und wieder reduziert zu „Dialogen“. In dieser dramaturgischen Bearbeitung wird diese Art von Klang in einer Endlosschleife im Container zu hören sein.

Frage: Wenn Sie Ihre Installation betrachten, worin sehen Sie das Spezifische für den Berliner Katholizismus?
Ries: Ich bin in erster Linie bildender Künstler. Mir geht es vor allem um eine künstlerische Qualität und Konsequenz dieser Licht-Klang-Installation. Die Anregung kam, wie gesagt, von der Arbeitsgruppe des Diözesanrates selbst. Ich könnte mir denken, dass die künstlerisch umgesetzte Aufbruchstimmung in Berlin durchaus auch auf den Katholizismus in der Stadt übertragbar ist. Christine Goetz hat noch einen zweiten Aspekt genannt. Ihr sei aufgefallen, dass viele katholische Kirchen in der Stadt Berlin eher in die Häuserzeilen hineingebaut wurden. Anders als bei vielen evangelischen Kirchen. Außen wirken sie eher spartanisch. Wenn man jedoch hineinkommt, öffnet sich der Raum. Und vergleichbar ist es mit dem Container auch.

Frage: Der Außenanstrich des Containers soll erst vor Ort in Hamburg erfolgen?
Ries: Ja. Er wird hier in Berlin vorgestrichen. Da es sich bei der abschließenden Farbgebung um ein empfindliches Pigment handelt, möchte ich es erst in Hamburg auftragen.
Frage: Wer bezahlt das Projekt?
Ries: Das Erzbistum Berlin über den eingerichteten Fonds zum Katholikentag.
Frage: Was passiert mit dem Container nach dem Hamburger Katholikentag?
Ries: Er kommt wieder zurück nach Berlin. Der Container bleibt Besitz des Erzbistums. Es gibt Überlegungen, ihn eventuell zum Ökumenischen Kirchentag 2003 noch einmal zu zeigen.

 

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