Alltag im Vatikan

Im St. Benno-Verlag erschienenes Buch berichtet über das Leben des Papstes und erlaubt einen Blick hinter die Kulissen

Berlin/Leipzig - Insider-Informationen aus erster Hand bietet der Farbbildband „Alltag im Vatikan“. Luigi Accatoli, Korrespondent im Vatikan, und Grzegorz Galazka, Fotograf der vatikanischen Pressestelle, informieren über das alltägliche Leben des Papstes und erlauben einen Blick hinter die Kulissen. Zum Beginn des Heiligen Jahres 2000 veröffentlichen wir einige Kostproben:
Eine Neuerung bei den Privataudienzen Johannes Pauls II. ist der ständige Wechsel zwischen Begegnungen im zweiten und dritten Stock des Apostolischen Palastes. Bis zu Paul VI. gab es eine Trennung zwischen den beiden Bereichen. Nur der Papst und sein Sekretär wechselten vom einen in den anderen. Heute hingegen geht der Papst von den Privatgemächern in die öffentlichen Audienzräume und kehrt von dort in seinen Privatbereich zurück. Häufig wird er dabei von Gästen begleitet, wodurch die Begegnung ausgedehnt wird. Auf diese Weise gibt er der Gastfreundschaft auch in seinen Privatgemächern eine besondere Note. Seine Vorgänger hatten Besuche im Privatbereich auf ein Minimum beschränkt.
So passiert es, dass die ukrainischen Bischöfe, mit denen er die Frühmesse in der Privatkapelle im dritten Stock konzelebriert hat, ihn mittags in der Bibliothek im zweiten Stock zur Audienz treffen, worüber auch der „Osservatore Romano“ berichtet. Und es kann sogar sein, dass er sie gleich darauf zum Essen mitnimmt. Ähnliches geschieht hinsichtlich der Besuche in den Pfarrgemeinden Roms: Am vorausgehenden Donnerstag gehen der Kardinalvikar, der zuständige Weihbischof und der Pfarrer der Gemeinde, die am Sonntag besucht werden soll, zur Audienz am späten Vormittag. Der Papst speist mit ihnen zu Mittag, wobei sich der Papst über die Menschen und das Umfeld informiert, denen er drei Tage später begegnen wird.
Das Wechseln zwischen den beiden Bereichen, für den Beobachter von außen ganz selbstverständlich, gab in der ersten Zeit seines Pontifikats Anlass zur Verwunderung, ja löste Mißstimmungen aus, hat sich jedoch im Laufe der Jahre so durchgesetzt. Don Stanislaw, dem „Chef“ der Audienzen im dritten Stock, ist es gelungen, sich in der Kurie
Respekt zu verschaffen, wie das den Sekretären von Paul VI. und von Johannes XXIII. nie gelungen ist. So wurde schließlich das Wechseln zwischen den beiden Bereichen zu einer offiziellen Angelegenheit. Die Bestätigung seitens der Kurie erfolgte durch die Ernennung Don Stanislaws zum Erzbischof und „Adjunkt-Präfekten der Präfektur des Päpstlichen Hauses“ am 7. Februar 1998. Der Präfekt des Päpstlichen Hauses, der US-Bischof James Michael Harvey, wacht über die Audienzen im zweiten Stock, und der Adjunkt-Präfekt Stanislaw Dziwisz leitet jene im dritten Stock.
Hat sich der Papst von seinen Gästen bei Tisch verabschiedet, ruht er eine halbe Stunde bis eine Stunde aus, danach steigt er auf den Dachgarten, der über den Privatgemächern liegt und eine Sicht über die Dächer Roms bietet, um dort etwas frische Luft zu schöpfen. Dieser Dachgarten, der unter Paul VI. angelegt wurde, besteht aus Bäumen, die in großen Gefäßen kultiviert werden, und ist verschönert mit einem Fischbrunnen. Jeden Morgen steigt ein Gärtner hoch, um die Pflanzen zu gießen. Ab und zu bitten die Schwestern einen der Liftführer um die Reinigung des Fischbrunnens. Der Wanderer und Skifahrer Wojtyla liebt Spaziergänge, und sei es nur das kurze Auf- und Abgehen auf seiner Dachterrasse. Als er noch bei Kräften war, tat er das oft, aber ein wenig Bewegung genehmigt er sich noch jeden Tag.
Danach kehrt der Papst in sein Arbeitszimmer zurück, wo er bis gegen 18.30 Uhr bei seiner Arbeit bleibt. Um diese Zeit kommen jeden Tag die Mitarbeiter des Staatssekretariats und andere Verantwortungsträger der Kurie, wie etwa der bayerische Kardinal Joseph Ratzinger, der Präfekt der Glaubenskongregation.
Selbst wenn in der Zukunft von den Neuerungen Johannes Pauls II. nicht viel bleiben sollte, seine Persönlichkeit hat bereits etwas unumkehrbar Neues markiert: Er hat das Papstbild verändert, indem er es den Menschen von heute näher brachte, indem er vom Vatikan aus in die Krisenherde der Welt ging. Der temperamentvolle polnische Papst hatte nacheinander die sehr umsichtigen italienischen Kardinäle Casaroli und Sodano als Staatssekretäre an seiner Seite. Agostino Casaroli hatte dieses Amt elf Jahre inne, von 1979 bis 1990, seither erfüllt Angelo Sodano diese Aufgabe. Am Nachmittag einmal in der Woche geht der Kardinalstaatssekre- tär zum Papst mit einem Dossier der laufenden Angelegenheiten. Casaroli war sechs Jahre älter als der Papst, So-dano hingegen ist sieben Jahre jünger, doch ihre Beziehung ist gleichermaßen freundlich und respektvoll.
Der Staatssekretär oder die Erzbischöfe Giovanni Battista Re und Jean-Louis Tauran, seine unmittelbaren Mitarbeiter, bringen dem Papst jeden Tag gewissenhaft geordnete, dickleibige Dossiers. Johannes Paul II. betrachtet solche Berge von Papier angeblich etwas mißtrauisch. Man sagt, Johannes Paul I. habe sich vor den Papieren der Kurie gefürchtet. Eine solche Furcht hat Johannes Paul II. nicht, aber er meidet es, den Papierstapeln zu viel Zeit zu widmen. Er hört seinen Mitarbeitern lange zu und stellt ihnen Fragen zu Einzelheiten. Beim Zuhören macht er sich keine Notizen. Sollte er eine Gedächtnisstütze brauchen, so ist diese vom Kardinal oder Erzbischof bereits vorbereitet.
Gegen 20 Uhr ist das Abendessen des Papstes. Oft nehmen Gäste daran teil, jedoch nicht so häufig wie beim Mittagessen. Beim Frühstück und Mittagessen sind es meist Gäste von außen; beim Abendessen sind es vorzugsweise Mitarbeiter der Kurie. Der Pressesprecher Navarro gehört zu denen, die hin und wieder am Abendessen teilnehmen. Wahrscheinlich ist er der einzige Laie, der diese Aufgabe seit längerem verrichtet. Aber noch ist unter den Beratern des Papstes keine Frau.
Wenn keine Gäste da sind, schaut der Papst sich die Nachrichten im ersten Programm des italienischen Fernsehens an. Manchmal sieht er auch für eine kurze Weile ein Fußballspiel oder einen Film, der ihm empfohlen wurde. Nach dem Abendessen begibt sich der Papst gerne in sein Arbeitszimmer. Kurz vor 23 Uhr macht er einen letzten Besuch in seiner Kapelle zum Beten der Komplet, mit der das Brevier den Tag beschließt. Das Brevierbeten und die Messe versäumt er nie. Aber zwischen der morgendlichen Messe und dem Nachtgebet geht der Papst des öfteren in seine Kapelle; er unterbricht seine Arbeit, um sozusagen die laufenden Geschäfte mit Gott zu besprechen; ebenso wenn er von einer tragischen Nach- richt erfährt oder wenn man ihm mit-teilt, dass sich jemand seinem Gebet anvertraut. Dann bekommt der Betstuhl eine wichtige Funktion. Gegen 23 Uhr geht der Papst schlafen: Er arbeitet nicht mehr bis in die frühen Morgenstunden, wie das bei Pius XII. und Paul VI. vorkam.

Nr. 3/00 vom 16. Januar 2000

(C) by kkz

 

Nächster

Vorheriger

Inhalt