Singender Erzähler oder erzählender Sänger

Gerhard Schöne gab Konzert in der Weißenseer Pfarrkirche St. Josef

Berlin - Wer dieser Tage in ein Konzert mit moderner Musik geht, um nachzuprüfen, was die Stars aus der Jugendzeit heute so treiben, stellt sich vorab nicht selten die Frage: „Was hat der Künstler in unserer Zeit noch zu sagen?“ Die Frage kann angesichts jahrzehntelangem Schaffens in Aufnahmestudios und auf der Bühne auch lauten: „Hat der Künstler überhaupt noch etwas zu sagen, sind noch Kreativität und Spontaneität in ihm?“ Der in Ostdeutschland seit vielen Jahren bekannte und beliebte Liedermacher Gerhard Schöne stellte sich den Fragen seines altersmäßig bunt gemischten Publikums am 16. Februar in der katholischen Pfarrkirche St. Josef in Berlin-Weißensee. Mit Mütze und schulterlangen Haaren, die elektronisch verstärkte Akustikgitarre vor dem Bauch und die Mundharmonika bei diesem oder jenem Stück vor dem Mund, präsentierte sich Schöne rein äußerlich so, wie ihn die älteren Zuhörer wohl noch von verwehten Konzerten und von verstaubten Covern der auf dem volkseigenen Label „Amiga“ erschienenen Langspielplatten in Erinnerung haben dürften. Der Liedermacher hatte seine „kreative Muße-Phase in den ersten drei Monaten des Jahres“ (Schöne) unterbrochen und war einer Einladung des Fördervereins der Katholischen Theresienschule gefolgt. Die Karten zum Preis von 15 und ermäßigt zehn Mark gingen bereits im Vorverkauf weg wie die viel strapazierten warmen Semmeln. So war es kein Wunder, dass der altehrwürdige St. Josef unter dem Ansturm des Publikums in all seinen über hundertjährigen Fugen ächzte. Schülerinnen und Schüler des katholischen Gymnasiums waren mit ihren teilweise deutlich jüngeren Geschwistern und ihren Eltern gekommen. Die Lehrer, die zum Teil den Ordnungs- und Einlassdienst übernommen hatten, Damen und Herren aus der Nachbarschaft und ältere Schöne-Fans bildeten die Zuhörerschaft, die sich auf Regie-Anweisung des Sängers dann auch stimmgewaltig und melodiefest in das Konzertgeschehen einzubringen wusste.
Einen bunten Lieder-Mix aus verschiedenen Programmen, gekoppelt an eine Reihe noch unveröffentlichte Stücke brachte Schöne während seines anderthalbstündigen Auftritts zu Gehör. Beim Versuch, alte Kirchenlieder mit neuen, seiner „Frömmigkeit“ und seinem „Glaubensverständnis“ (Schöne ist evangelischer Christ) nahekommenden Texten zu versehen, kam dem Liedermacher die Big-Band der Theresienschule zu Hilfe. Die Bläser gaben die alten Melodien vor, Schöne schloss nahtlos an die Tradition an. Der musikalische Kontrast zwischen Blasinstrumenten und Gitarre, zwischen reiner Melodie und git-tarenbegleitetem Gesang war aus künstlerischer Sicht wohl ein Höhepunkt des Abends.
Gerhard Schöne kann nach diesem Konzert durchaus als singender Erzähler oder als erzählender Sänger bezeichnet werden. Besinnliche Stücke, etwa die Geschichte eines „Penners“, der quer über dem Trottoir liegt und von den Vorbeieilenden keine Hilfe erfährt, wurden ergänzt von humorigen Liedern. Etwa dem Stück über ein deutsches Ehepaar, das mit Hund nach Hongkong fliegt, um dort deutsche Weihnachten zu genießen. Da die Verstärker von Gitarre, Mundharmonika und Mikrofon angemessen ausgepegelt waren, konnten die Zuhörer in den Kirchenschiffen die Liedtexte und Ansagen gut verstehen. Schwieriger war es da für die zahlreichen Konzertbesucher auf der Empore.
Gerhard Schöne ist nicht auf den in der DDR erklommenen Siegertreppchen stehengeblieben. Er hat sich musikalisch weiterentwickelt und präsentiert auch heute noch Texte, die die Probleme in Staat, Gesellschaft, Familie oder Kirche benennen. Und - das ist verdienstvoll -, der Liedermacher sucht nach Lösungen für Konflikte. Für Schöne heißt die Lösung so manchen zwischenmenschlichen Übels einfach „mehr Wärme, mehr Liebe, mehr Menschlichkeit“.
Den Erlös aus dem Kartenverkauf stellt der Liedermacher der Theresienschule und dem Projekt „Camp Oderland“ des Diakonischen Werkes zur Verfügung.

Thomas Steierhoffer
Nr. 9/00 vom 27.Februar 2000
(C) by kkz

 

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