Pfingsten 2000 - Eine Nacht der Offenen
Kirchen
Die beiden
großen Kirchen, ihre Bischöfe und der
Ökumenische Rat Berlin-Brandenburg laden in der
Nacht vom 11. zum 12. Juni alle Interessierten in die
Gotteshäuser ein
Berlin - Es gibt Landstriche auf dieser Erde,
da sind selbst die Wohnungstüren auch heute noch
unverschlossen, selbst wenn, die darin wohnen, gar
nicht zuhause sind. Solch Brauch mutet in unseren
Breiten geradezu tollkühn an, stattdessen haben
Firmen für Sicherheitsschlösser und
Klingelanlagen, haben Wachdienste hierzulande
Hochkonjunktur, und häufig ist das Misstrauen
sogar berechtigt.
Es gibt noch Landstriche - sogar in Deutschland, da ist
eine tagsüber offene Kirche
selbstverständlicher und gern genutzter
Anlaufpunkt, um eine Kerze anzuzünden, bei
großer Hitze die Kühle zu genießen oder
um einfach vor Gott ein wenig auszuruhen.
In Berlin und Brandenburg sind aus guten Gründen
und schlechten Erfahrungen die Kirchen meistens
verschlossen.
In St. Matthias am Winterfeldtplatz wird samstags zum
Markt die Kirche aufgesperrt. Ursula Wrobel und ein
ganzes Team von Freiwilligen paßt auf, dass nichts
wegkommt. Und macht ganz erstaunliche Erfahrungen. Auch
wer eigentlich nicht zum Beten kommt, wird in der Ruhe
der Kirche ganz von selbst ruhig: Da kam zum
Beispiel ein Alkoholiker, den kannten wir schon aus der
Gemeinde, der fing an, Randale zu machen, so dass wir
ihn schon rauswerfen wollten, doch dann wurde er immer
ruhiger und zum Schluss hat er gebetet. Viele
Menschen suchen die Kirche auf, auch wenn sie nicht
unbedingt beten wollen. Pfarrer Edgar Kotzur hat
wenigstens den Vorraum während der ganzen Woche
geöffnet, ein kunstvolles Gitter hindert am
Weitergehen, ermöglicht aber doch immerhin den
Blick in den Kirchenraum.
Pfarrer Wido Krajewski überlegt in Tempelhof auch
schon die ganze Zeit, wie er es schafft, die Kirche
offen zu lassen, doch noch immer ohne die
durchschlagende Lösung. Wenn gar nichts
anderes mehr geht, dann verleg ich eben mein Büro
in die Kirche, dann ist wenigstens so lange offen, so
lange ich auch selbst da bin.
Nur zwei Beispiele von vielen, dass die Sehnsucht nach
einer offenen Kirche groß ist und zwar von beiden
Seiten: Christen erkennen, dass eine zugesperrte Kirche
nicht im Sinne des Erfinders sein
kann. Spontane Gäste, die nicht eigens zum
Gottesdienst kommen, sondern vielleicht auch erst
nur mal schauen wollen, hätten
gerne die Möglichkeit, in die Kirche zu
kommen.
Es ist sicher: Türen zu öffnen fordert
Überwindung, fordert Mut, sich hinterfragen zu
lassen, fordert auch ein hohes Maß an Engagement
und Organisation, aber es bedeutet sicher auch eine
Chance, Fremde in unsere Kirche zu
lassen.
Wir können uns am Papst orientieren, wie gut das
ankommt, die Türen zu öff-nen: wie Papst
Johannes Paul II. die Heiligen Pforten in Rom
geöffnet hat, das ist ein Zeichen, das nicht nur
weltweit übertragen, sondern auch weltweit
verstanden wurde.
Die Idee einer Nacht der offenen
Kirchen ist eine ökumenische Idee,
getragen von den Kirchenleitungen aller christlichen
Kirchen in Berlin und Brandenburg (der Vorpommersche
Teil des Erzbistums ist natürlich auch herzlich
eingeladen!). Nicht nur die Evangelische Kirche in
Berlin-Brandenburg, sondern auch der Ökumenische
Rat mit seinen insgesamt 24 Mitgliedskirchen
angeschlossen ist der Einladung unseres Erzbischofs,
Georg Kardinal Sterzinsky, gefolgt. Als Termin wurde
die Nacht von Pfingstsonntag auf Pfingstmontag (11./12.
Juni) ausgewählt.
Dieser Termin ist für viele ungünstig, doch
gibt es letztlich keinen besseren:
Pfingsten ist das Fest der Ermutigung, und es
gehört Mut dazu, die Türen zu öffnen,
und der Pfingstmontag ist seit der Pastoralsynode in
Dresden als Termin für ökumenische Feiern
nicht mehr von der Tagesordnung wegzudenken.
Wir laden Sie ein, die Türen
Ihrer Kirchen weit
aufzumachen!
Von der Idee einer Nacht der offenen Kirchen haben sich
die Leitungen aller christlichen Kirchen in Berlin und
Brandenburg begeistern lassen. Den gemeinsamen Brief
haben neben Bischof Wolfgang Huber für die
Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg und Georg
Kardinal Sterzinsky für das Erzbistum Berlin auch
je ein Bischof aus der Familie der
orthodoxen und der Freikirchen, der Koptisch Orthodoxe
Bischof Anba Damian, Kirche sowie der Bischof der
Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter
Brüdergemeine, Theodor Clemens. Beide sind
Mitglieder in der Ratsleitung des Ökumenischen
Rates Berlin-Brandenburg, dem unser Erzbischof
vorsteht. Der Brief ging an alle Gemeinden und wird
hier in Auszügen wiedergegeben:
Aus dem Brief der
Bischöfe:
Liebe Schwestern und Brüder,
An Pfingsten feiern die christlichen Kirchen die
Gegenwart Gottes im Heiligen Geist. Mitten unter uns.
Denn im Heiligen Geist kommt Gott wirklich zu den
Menschen. Bis heute und in Zukunft.Wo dieser Geist
Gottes ist, das betont der Apostel Paulus, da ist
Freiheit. Es ist nicht der Geist der Furcht, sondern
der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Er
lässt Ströme lebendigen
Wassers fließen. So wie die Gegenwart
Gottes uns öffnet für seine Zukunft mit uns,
so sollen wir uns öffnen für unsere
Mitmenschen. Deshalb laden die christlichen Kirchen in
Berlin und Brandenburg Sie herzlich ein, in der Nacht
vom Pfingstsonntag zum Pfingstmontag 2000 die
Türen Ihrer Kirchen weit aufzumachen zu einer
Nacht der offenen Kirchen.
Wir wollen es damit den in Jerusalem versammelten
Aposteln nachtun, die sich gleichfalls am Pfingstfest
an die Öffentlichkeit gewagt haben.
Natürlich ist diese Idee von Aktionen wie dem
Tag des offenen Denkmals und der
Langen Nacht der Museen inspiriert.
Wir sind aber überzeugt, dass die Nacht der
offenen Kirchen einen ganz eigenen spirituellen
Charakter bekommen kann, geprägt von der Vielfalt
kirchlichen Lebens in Berlin und Brandenburg. Diese
pfingstliche Geste, die Türen zu öffnen, kann
auf ganz unterschiedliche Weise gestaltet werden. Es
liegt völlig bei Ihnen und Ihrer Gemeinde, zu
entscheiden, ob und in welcher Weise Sie sich an dieser
Aktion beteiligen wollen.
In den geöffneten Kirchen können alle Sinne
der Besucher angesprochen werden: durch
kirchenmusikalische Darbietungen, Gebete und Andachten,
Kirchenführungen, Lesungen, szenische
Darstellungen, Pantomime ...
Ob Sie einladen, bei Kerzenlicht und Weihrauch zur Ruhe
zu kommen, oder auf die Wirkung Ihres Kirchenraumes
vertrauen, das liegt ganz in Ihrer Verantwortung und
Phantasie.
Wir sind überzeugt, dass es bei vielen Menschen
eine große Neugier, ja sogar ein Verlangen gibt,
sich unsere Kirchen einmal in Ruhe anzusehen. Menschen
- Glaubende und Nichtglaubende - nehmen unsere Kirchen
als Hinweise auf die Frage nach dem Sinn und Ziel des
menschlichen Lebens wahr. Sie suchen Orte, an denen der
Rhythmus ihres auf Leistung orientierten Lebens
unterbrochen wird. Das kann uns nicht gleichgültig
sein.
Wir freuen uns sehr, wenn Sie unserer Einladung folgen
wollen, für diese Nacht Ihre Kirche zu
öffnen. Sie soll im Zeichen ökumenischer
Verbundenheit gemeinsam durchgeführt werden und
versteht sich als ein Schritt auf dem Weg zum ersten
Ökumenischen Kirchentag, der im Jahr 2003 in
Berlin stattfinden wird. Auch aus diesem Grund haben
wir uns vorgenommen, die Nacht der offenen Kirchen am
Pfingstmontag mit einem ökumenischen Gottesdienst
abzuschließen.
Vorschläge und
Anregungen für die
Planung
Zur Vorbereitung der Nacht hat sich
eine ökumenische Arbeitsgruppe gebildet, die alle
Vorhaben und Ideen sammeln und in einer Broschüre
so wie auf Plakaten einem breiten Publikum bekannt
machen wird. Diese Gruppe hat sich auch Gedanken
gemacht, wie so eine Nacht der offenen
Kirchen gestaltet werden könnte.
Sämtliche Vorschläge sind lediglich als erste
Anregung für die Planung gedacht.
Schon die geöffneten Kirchtüren für sich
ohne jede Zutat sind ein Zeichen,
das jeder versteht und das aus sich heraus
anspricht.
- Wie lange?
Wie lange die Nacht der offenen Kirchen dauert,
entscheidet jede Gemeinde selbst. Gedacht ist an eine
Kernzeit von 20.00 bis 24.00
Uhr.
Die Nacht könnte mit dem
Läuten der Glocken beginnen und um Mitternacht mit
einem (ökumenischen) Mitternachtsgottesdienst
einen abschließenden Akzent bekommen.
- Was?
Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, weder
zeitlich noch inhaltlich.
Feiern Sie ...
... mit allen Sinnen:
- Hören:
Die gesamte Vielfalt der Kirchenmusik, Orgel,
Chöre, Bands, Gospel, Gregorianik, etc. Lesungen,
von Bibeltexten bis zu zeitgenössischer Literatur.
Hinhören auf die Stille, auf die besondere Akustik
der Kirche.
- Sehen:
Pantomime, Theater, Kerzenlicht, Bildmeditationen,
Kirchenführungen, Modenschau
mit liturgischen Gewändern.
- Riechen: Bienenwachs und
Weihrauchduft.
- Sprechen/Singen: Offenes Singen.
- Fühlen: Liturgische Tänze.
- Schmecken: vielleicht gibt es einen Ort, wo Sie etwas
zu Essen und zu Trinken anbieten können (...
hält bekanntlich Leib und Seele zusammen!).
... im gesamten Kirchenraum:
Kirchturm-/Dachboden-Besteigungen -
Kirchenführungen für spezielle Zielgruppen
(z.B.: Kinder entdecken die Kirche) - Rücken Sie
die Kirche in ein besonderes Licht (z.B. nur mit
Kerzen), erklären Sie die Kirche auf einem
Rundgang von Kerze zu Kerze (z.B. Apostelkerzen) -
Öffnen Sie nicht-öffentliche Bereiche wie
Chorgestühl, Schatzkammer, Sakristei oder
Höfe.
... mit dem Reichtum von Liturgie und Seelsorge:
z.B.: Psalmennacht - Stündlicher Meditationsimpuls
- Silentium - Vesper & Komplet - Pfingstandacht -
Fürbittlitaneien - Trostfeier -
Mitternachtsgottesdienst - Ökumenisch
ausgerichtete Gottesdienstformen - Rechnen Sie mit
Besuchern, die einen seelsorglich kompetenten
Ansprechpartner suchen.
... mit speziellen Themen:
Diskussionsforen, politisch wie kulturell - Runde
Tische (sind schließlich in den Kirchengemeinden
entstanden!) - politisches Nachtgebet. Als Motto bietet
sich sowohl Pfingsten selbst als auch das Jahr 2000 an
unter dem Motto Unsere Zeit in Gottes
Händen oder Sein ist die Zeit,
Christus gestern, heute, in Ewigkeit,
gemeinsam ist, dass wir einen Grund zum Feiern haben,
denn 2000 Jahre nach Christi Geburt, das sind auch 2000
Jahre mit Jesus Christus.
... mit der ganzen Vielfalt Ihres Gemeindelebens:
Jede Gemeinde hat besondere Stärken, spezielle
Begabungen und besondere Gruppen, die an dieser Nacht
mitwirken können. Entsprechend lässt sich
dann z.B. eine Jugendnacht oder eine Frauen-Kirche
gestalten.
... mit allen Ihren Nachbarn:
Laden Sie Ihre Nachbarn ein zur Nacht der offenen
Kirchen, schließen Sie sich mit Nachbargemeinden
zu einer gemeinsamen Aktion zusammen, laden Sie
Vertreter anderer Religionen für diesen Abend in
Ihre Kirche ein. Oder fragen Sie Künstler und
Prominente aus Ihrem Gemeindegebiet.
Alle Pläne, Ideen und Projekte aus den Gemeinden
werden gesammelt und für die Veröffentlichung
in einer Broschüre vorbereitet. Für die
weitere Planung ist eine Rückmeldung bis zum 20.
März an eine der folgenden Kontaktadresse erbeten.
Dort gibts auch weitere Unterstützung.
Stefan Förner
Nr. 8/00 vom 20. Februar 2000
(C) by kkz
|