Ausruhen, reden, duschen
in Evas Haltestelle
Sozialdienst
katholischer Frauen (SkF) unterhält einzige
Tageswohnung für obdachlose Frauen in
Berlin
Berlin - Petra T. ist modern und sauber
gekleidet. Ihre frisch gekämmten Haare
glänzen im Schein der Deckenbeleuchtung. Nichts am
Äußeren der jungen Frau verrät, dass sie
obdachlos ist. Ich komme fast täglich
her, weil man sich hier unterhalten kann. Weil man
duschen und seine Klamotten in die Maschine stecken
kann, sagt sie. Ansonsten lässt sie sich
nicht weiter beim Mensch-ärgere-dich-nicht-spielen
stören. Massive partnerschaftliche Probleme haben
Petra T. aus ihrer Leipziger Wohnung nach Berlin
fliehen lassen. In der Bahnhofsmission am Zoo erfuhr
sie nach Wochen des verzweifelten Herumirrens in der
Hauptstadt von der Tageswohnung Evas
Haltestelle im Bezirk Wedding. Getragen wird
das niedrigschwellige Angebot vom Sozialdienst
katholischer Frauen (SkF). Die Wohnung ist die einzige
Einrichtung für obdachlose Frauen in ganz Berlin,
die tagsüber geöffnet ist. Gemeinsam mit 14
ehrenamtlichen Helferinnen im Alter von 20 bis 60
Jahren ist Sozialarbeiterin Anja Pinding hier
hauptamtlich für Frauen wie Petra T. da.
Die zu ebener Erde liegende
Haltestelle hat eine
Gesamtfläche von 134 Quadratmetern. Neben dem
wohnzimmerartigen Hauptraum gibt es hier zwei
Toiletten, eine Nasszelle mit Dusche, Waschmaschine und
Wäschetrockner, einen Ruheraum, die Küche und
das Büro der Sozialarbeiterin. Unsere
Türen stehen offen für Frauen - mit und ohne
Kinder -, die in Notunterkünften, bei wechselnden
Partnern oder auf der Straße leben oder von
Wohnungslosigkeit bedroht sind, erklärt
Sozialarbeiterin Anja Pinding. Außerdem
könnten Frauen, die zwar über eigenen
Wohnraum verfügen, sich aber sozial isoliert
fühlen, die Tagesstätte besuchen. Dies sei
wichtig, da eine besondere Belastung der Zielgruppe
darin bestehe, in sozialen Schwierigkeiten
ohne den Schutz einer Gruppe leben zu
müssen. Weil ein Auffangnetz
persönlicher und materieller Hilfen aus dem
Familien- und sonstigen Lebensumfeld fehle.
Nach den Worten von Anja Pinding ist Evas
Haltestelle ein niedrigschwelliges offenes
Kommunikations-, Ruhe- und Beratungsangebot. Die
Einrichtung bietet die Möglichkeit, sich
auszuruhen, Kontakte zu anderen Besucherinnen zu
knüpfen. Ergänzend dazu kann die
psychosoziale Beratung durch die Sozialarbeiterin in
Anspruch genommen werden. Die Besucherinnen finden
kreative Anregungen für die Gestaltung der
Freizeit.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit in Evas
Haltestelle ist die körperliche
Grundversorgung. Nach den Worten der Sozialarbeiterin
gehören dazu Tagesmahlzeiten, die Möglichkeit
zur Körperhygiene und zur Kleiderpflege. In
Zusammenarbeit mit zahlreichen Spendern können die
Frauen bei Bedarf auch Bekleidung bekommen.
Ein besonderes Gewicht hat die nachgehende
Beratung, so Anja Pinding. Frauen,
die eine eigene Wohnung gefunden haben, erfahren bei
uns auch weiterhin Unterstützung und
Begleitung.
Ziel der Arbeit in Evas Haltestelle
sei es, die Frauen anzunehmen und ihnen mit
Achtung und fachlicher Kompetenz zu begegnen und der
weiteren Gefährdung und Ausgrenzung
entgegenzuwirken. Wenn Frauen um Hilfe
bitten, werden die Mitarbeiterinnen tätig. Immer
unter dem Grundsatz der Freiwilligkeit und der Hilfe
zur Selbsthilfe.
Evas Haltestelle finanziert sich
aus geringen Zuwendungen des Landes und der
katholischen Kirche. Der weitaus größte Teil
kommt aus Spendengeldern.
Der Sozialdienst katholischer Frauen hat sich seit
seiner Gründung im Jahr 1899 um die Probleme von
Frauen gekümmert. Er ist als Fachverband der
Jugendhilfe, der Gefährdetenhilfe und der Hilfe
für Frauen und Familien in Not dem Deutschen
Caritasverband angeschlossen. Anja Pinding:
Als Frauenverband wissen wir, dass es in der
deutschen Gesellschaft Nöte gibt, von denen Frauen
in besonderer Weise betroffen sind und die die Hilfe
von Frauen erforderlich macht.
Trotz des Wohlstandes in der Bundesrepublik lebt ein
wachsender Teil der Bevölkerung unter sozial
schwierigen Bedingungen. Eine der schlimmsten
Auswirkungen von Armut ist der Verlust der eigenen
Wohnung. Davon sind in Deutschland immer mehr Menschen,
verstärkt Familien mit Kindern, alleinerziehende
Mütter und Jugendliche betroffen. Der Rat der
Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche
Bischofskonferenz weisen in ihrem Wort zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland
darauf hin, dass mit dem Reichtum auch die Armut
gewachsen ist und die Armut immer ein Stachel in der
Wohlstandsgesellschaft sei. Wörtlich heißt es
hier: Armut hat viele Gesichter und viele
Ursachen. Sie ist mehr als nur Einkommensarmut.
Häufig kommen bei bedürftigen Menschen
mehrere Belastungen zusammen, wie etwa geringeres
Einkommen, ungesicherte und zudem schlechte
Wohnverhältnisse, hohe Verschuldung, chronische
Erkrankungen, psychische Probleme, langandauernde
Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und unzureichende
Hilfen. Diese Armutssituationen treffen besonders
diejenigen, die mehrere Jahre auf Sozialhilfe
angewiesen sind... Verlässliche bundesweite Daten
über das gesamte Ausmaß akuter
Wohnungsnotfälle, von Wohnungs- und
Obdachlosigkeit liegen nicht vor, zumal es darüber
keine einheitlichen Maßstäbe und Kriterien
gibt.
Den Anteil wohnungsloser Frauen in ganz Deutschland
schätzte die Bundesarbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe (BAG) bereits 1997 auf 20 Prozent
aller obdachlosen Menschen. In Berlin sieht die
Situation so aus: Die Zahl der wohnungslosen Frauen
liegt auf dem unverändert hohen Niveau der
Vorjahre. Im zweiten Quartal 1999 waren in Berlin
insgesamt 811 alleinstehende Frauen, davon 419
alleinerziehende Mütter wohnungslos gemeldet. Bei
insgesamt 6845 bis zu diesem Zeitpunkt gemeldeten
wohnungslosen Menschen liegt der Anteil der
alleinstehenden und alleinerziehenden Frauen in der
deutschen Hauptstadt bei knapp 12 Prozent und somit
unwesentlich unter dem Bundesdurchschnitt. Die
Dunkelziffer wohnungsloser Frauen dürfte deutlich
darüber liegen. Dies mag darin begründet
sein, dass Frauen oftmals institutionelle Hilfe nicht
in Anspruch nehmen. Fachleute gehen davon aus, dass die
Zahl der registrierten wohnungslosen Frauen nur
die Spitze des Eisberges ist.
Evas Haltestelle in der
Bornemannstraße 7 in Berlin-Wedding ist montags
bis freitags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im Winter
auch samstags von 14 bis 18 Uhr.
Thomas Steierhoffer
Wer das Projekt Evas Haltestelle
unterstützen möchte, erhält unter der
folgenden Adresse weitere Informationen:
Evas Haltestelle,
Anja Pinding,
Bornemannstr. 7, 13357 Berlin.
Tel.: 030/462 32 79.
Nr. 5/00 vom 30. Januar 2000
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